WIKI:
Noch in den 1950er Jahren folgten die meisten Geisteswissenschaftler dem sog. soziologischen Relativismus: Sie waren davon überzeugt, dass der Mensch fast unbegrenzt formbar sei und unter fast allen Bedingungen leben könne. Daraus zogen sie zwei Schlüsse: Eine Gesellschaft, die in den Grundzügen funktioniere, sei gesund. Für psychische Störungen seien Fehler im Individuum verantwortlich; die Betroffenen seien einfach nicht anpassungsfähig genug.
Fromm vertrat demgegenüber einen normativen Humanismus: Der Mensch hat nach Fromm nicht nur physische, sondern auch psychische Grundbedürfnisse, die in seiner Existenz wurzeln. Hieraus ergibt sich, dass für die psychische Gesundheit des Menschen universelle Kriterien gelten, die vom gesellschaftlichen System entweder gefördert oder unterdrückt werden können. Der Gesundheitszustand einer Gesellschaft kann somit untersucht werden.
Zwar kann der Mensch tatsächlich unter vielerlei Bedingungen leben, doch wenn sie seiner menschlichen Natur zuwiderlaufen, reagiert er darauf, indem er die bestehenden Verhältnisse entweder ändert oder seinen vernunftbedingten menschlichen Fähigkeiten entsagt, also sozusagen „abstumpft“.
Heute, in Zeiten der Finanz-, Wirtschafts- und Bankenkrise, sind die Gesellschaften und Individuen vermehrt auf der Suche nach Lösungen. Vielfach wird offen darüber gesprochen, daß ein stetiges Wirtschaftswachstum nicht mehr zu erreichen sein wird. Doch dieser Gedanke des stetigenWirtschaftswachstums war die Grundlage des Wirgefühls der technisierten westlichen Welt. Die Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg galt als Versprechen für die Zukunft. Bildung und Erziehung, Familie und Beruf, Beziehungen und Freizeit sind diesem Versprechenuntergeordent worden. Wirtschaftswachstum und die Teilhabe daran löste im Zuge der Aufklärung schrittweise das christliche Gottesbild ab. Werte gingen verloren.
Geht man davon aus, daß lineares Wachstum zukünftig nicht mehr möglich sein wird, so wird auch Arbeitslosigkeit und eine fortschreitende Sinnkrise das Leben der Menschen mehr und mehr bestimmen. Einige meinen, daß die Gesellschaften und ihre Mitglieder wieder zusammenrücken werden. Achtsamer hinschauen werden. Oder wird es zu Gewalt und Dekadenz kommen? Die Wertedebatte, schon seit geraumer Zeit geführt, zu was hat sie geführt? Politikverdrossenheit, Wahlboykott, Hinwendung zur Religion?
Buddhismus ist eine Individual- und Erfahrungsreligion, so wie das Urchristentum und die Mystik auch. Wenn die äußeren Umstände in einem rapiden Wandel begriffen sind, unruhiges Fahrwasser und Unsicherheiten das Leben prägen, so scheint mir eine Hinwendung zu eigenen inneren Prozessen eine Möglichkeit mehr Gelassenheit und Freude im Leben zu entwickeln, ohne sich von materiellen Verlusten ängstigen zu lassen.
Fromm (WIKI):
Der entfremdete Mensch wird vielmehr von äußeren Einflüssen statt inneren Strebungen gelenkt. Insofern dient auch der Konsum nicht mehr dazu, sich selbst einen Wohlgefallen zu tun, sondern es geht vielmehr um „die Befriedigung von künstlich stimulierten Phantasievorstellungen“, die vor allem durch die Massenmedien an den Menschen herangetragen werden. Da diese scheinbare Befriedigung die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse des Einzelnen jedoch unbefriedigt lässt, hat sich in der heutigen Gesellschaft eine regelrechte Konsumsucht etabliert.
Das Bedürfnis nach Massenkonsum erzeugt im Gesellschafts-Charakter den Drang, „daß jeder Wunsch sofort befriedigt werden muß und kein Verlangen frustriert werden darf“. Dadurch ist der moderne Mensch weitgehend unfähig geworden, seine Wünsche aufschieben zu können, auch wenn diese nur von der Wirtschaft vorgegeben sind. Anstatt sich mit Konflikten mit dem eigenen Selbst auseinanderzusetzen, beschäftigt sich der Einzelne ständig mit einem neuen Vergnügen aus der breiten Palette kultureller Opiate. In der heutigen Gesellschaft besteht also nicht einmal mehr die Notwendigkeit, sich seiner selbst bewusst zu werden.
Eine produktive Religiosität zeichnet sich aus durch:
A) Liebesfähigkeit: die Fähigkeit, in liebender Weise auf andere bezogen zu sein, an ihrem Anderssein interessiert zu sein und dieses Eigensein des anderen respektieren zu können...
B) Autonomiefähigkeit: die Fähigkeit, trotz des Angewiesenseins auf andere auf eigenen Füßen zu stehen und die Ansprüche auf Autonomie (nicht auf Autarkie) trotz dieses Angewiesenseins (womit nicht psychische Abhängigkeit gemeint ist) auch durchsetzen zu können. Ein Beispiel hierfür ist Abrahams Fürsprache für Sodom und Gomorrha. Abraham verehrt Gott und ist auf ihn als seinen Schöpfer und Leiter angewiesen. Gleichzeitig ist Abraham ein autonomer Denker mit einem eigenen unabhängigen Gewissen. So kann er trotz seines Angewiesenseins auf Gott dennoch seine eigenen ethischen Maßstäbe gegenüber Gott deutlich machen und Gott anklagen: „Fern sei es von dir, so zu handeln nach diesem [deinem] Wort: zu töten den Gerechten mit dem Ungerechten. Dann erginge es dem Gerechten wie dem Ungerechten. Fern sei das von dir! Sollte etwa der Richter über die ganze Erde nicht Recht üben?” (Gen 18,25).
C) Selbsterkenntnis: die Fähigkeit, sich selbst auch in seinen verdrängten und verleugneten Persönlichkeitsaspekten wahrnehmen zu können. Ein Beispiel hierfür sind religiöse Schuldbekenntnisse, die den Menschen nicht klein, ohnmächtig und abhängig machen (das wäre masochistische Religiösität), sondern die helfen, sich den eigenen verdrängten Persönlichkeitsaspekten zu stellen und diese so verarbeiten und überwinden zu können.
D) Ambivalentes Identitätserleben: die Fähigkeit, sich selbst in seiner Ambivalenz als vermögendes und fehlbares, schöpferisches und vergängliches Wesen gleichermaßen erleben zu können. Ein Beispiel hierfür sind religiöse Mythen, die vom Menschen und seinen Fähigkeiten und Schwächen gleichermaßen erzählen. So werden Adam und Eva in ihrer Ambivalenz mit der Fähigkeit zu Selbstbewusstsein (sie erkennen, dass sie nackt sind) und zu selbstverantwortlichem Handeln dargestellt und gleichzeitig in ihrer Mühsal, Schuldverstrickung und Todesverfallenheit.
E) Ambivalentes Realitätserleben: die Fähigkeit, die Wirklichkeit in ihrer Ambivalenz, in ihrer Gegebenheit ohne Verzerrungen durch Wunschbilder und ohne durch Angst erzeugte Verleugnungen wahrnehmen und aushalten zu können...
F) Frustrationstoleranz: die Fähigkeit, die Welt in ihren befriedigenden und versagenden, erfreulichen und bedrohlichen Aspekten gleichermaßen wahrnehmen zu können. Ein Beispiel für Frustrationstoleranz ist ein chassidischer Ausspruch des Jizchak Meir von Ger, von dem Fromm sehr viel hielt und der die eigene Sündhaftigkeit des Menschen nicht leugnet, aber auch nicht darin verstrickt bleibt, sondern auf produktive Weise verarbeitet (zitiert nach M. Buber, 1949, S. 826f.): „Wer ein Übel, das er getan hat, immerzu beredet und besinnt, hört nicht auf, das Gemeine, das er tat, zu denken, und was man denkt, darin liegt man, mit der Seele liegt man ganz und gar darin, was man denkt - so liegt er doch in der Gemeinheit: Der wird gewiss nicht umkehren können, denn sein Geist wird grob und sein Herz stockig werden, und es mag noch die Schwermut über ihn kommen. Was willst du? Rühr’ her den Kot, rühr’ hin den Kot, bleibt’s doch immer Kot. Ja, gesündigt, nicht gesündigt, was hat man im Himmel davon? In der Zeit, wo ich darüber grüble, kann ich doch Perlen reihen, dem Himmel zur Freude.“
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