Wie die Wolken uns den Luftraum sichtbarer machen, so machen sie uns die Bewegungen der Luft wahrnehmbar. Und die Bewegungen der Luft sind zwar nicht unserem Denken, wohl aber unseren Sinnen stets rätselhaft und darum fesselnd. Wenn hundert Meter oder dreihundert oder tausend Meter über meinem Kopf die Luft bewegt ist, Strömungen gehen, sich treffen, kreuzen, teilen, bekämpfen, so habe ich nichts davon. Sehe ich aber eine Wolke oder eine Wolkenschar wandern, rascher und langsamer reisen, innehalten, sich teilen, ballen, umformen, schmelzen, bäumen, zerreissen, so ist das ein Schauspiel und nimmt Interesse und Teilnahme in Anspruch.
Und schliesslich bedeuten uns die Wolken noch ein Gleichnis der Vergänglichkeit, ein zumeist heiteres, befreiendes, wohltuendes. Wir sehen ihre Reisen, Kämpfe, Rasten, Feste an und deuten sie träumend, wir sehen menschliche Kämpfe, Feste, Reisen, Spiele in ihnen, und es tut uns wohl und weh zu sehen, wie das ganze und schöne Schattenspiel so flüchtig, veränderlich, vergänglich ist.
Auszug Hermann Hesse - Kurze Prosa - Wolken
(1907)
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