Navigation

Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Die Wupper - Lebensader und Energiequelle einer Region

Es scheint noch nicht so lange her zu sein - zumindest trügt mich meine Erinnerung dahingehend - daß ich täglich über die Wupper ging, um meine Grundschule zu erreichen. Auch lernte ich in diesem Fluß das Schwimmen. Nicht sehr tief und doch an manchen Stellen mit einer beachtlichen Breite, meandert dieses Gewässer durch Wiesen und Felder, vorbei an alten Industriebauten, die grundlegend zum Wohlstand und zur Entwicklung dieser Region beitrugen. Früher Abwasserkanal und Heimat der vielen Wasserräder an seinem Weg. Spinnereien, Färbereien, chemische Industrie und ganz besonders die Metallindustrie nutzten sein Gefälle von ca. 400 Metern bis zur Mündung in Leverkusen. Romantische Biegungen und kühle Winkel, die bei sommerlicher Hitze zur Erholung einladen.
Mag sein, daß ich einer der letzten Zeugen wurde, die die Vergiftung dieses einst schmutzigsten Gewässers Europas in Augenschein nehmen mußte. Der Gestank war unerträglich, als eines Morgens sämtliche Fische vor einem Wehr an der Oberfläche trieben. Erstaunlich, wie viele Lebewesen dort beheimatet waren. Atmen war über Tage und Wochen kaum noch möglich, wenn wir über die Brücke mußten.
Vor einigen Jahren las ich den historischen Kriminalroman "Türkischrot". Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, ist nicht die Handlung den Mord betreffend, sondern das Flair der damaligen Zeit mit ihren Irrungen und Wirrungen, die Armut der Arbeiter, die völlig unzureichende medizinische Versorgung und die Aussichtslosigkeit eben jener Menschen, die von der Hand in den Mund leben mußten. 

Inhalt: Barmen im Jahre 1845. Die boomende Textilindustrie beschert den Unternehmern große Gewinne, die Arbeiter leben im Elend und beschwören die Revolution. Der Fabrikantensohn und Vordenker des Sozialismus Friedrich Engels flieht vor der preußischen Regierung nach England. Eines Nachts wird die Gattin eines reichen Türkischrotfärbers ermordet in einem Färbebottich gefunden wird. Für die Polizei steht der Täter schnell fest: Samuel Kienholz, einer der aufmüpfigen Färber, muss es gewesen sein..
Türkischrot ist eine spannende Kriminalgeschichte, die die Zeit der Frühindustrialisierung in der Bergischen Region lebendig werden lässt und wegen ihrer authentischen historischen Hintergründe vielfach als Schullektüre genutzt wird.

[...] Sowie die Brücke passiert ist, nimmt alles einen freundlicheren Charakter an; große, massive Häuser in geschmackvoller, moderner Bauart vertreten die Stelle jener mittelmäßigen Elberfelder Gebäude, die weder altmodisch noch modern, weder schön noch karikiert sind; überall entstehen neue, steinerne Häuser, das Pflaster hört auf, und ein grader chaussierter Weg, an beiden Seiten bebaut, setzt die Straße fort. Zwischen den Häusern sieht man auf die grünen Bleichen; die hier noch klare Wupper, und die sich dicht herandrängenden Berge, welche durch leicht geschwungene Umrisse und durch mannigfaltige Abwechselung von Wäldern, Wiesen und Gärten, aus denen überall rote Dächer hervorschauen, die Gegend immer anmutiger machen, je weiter man kommt.[...]
[...] Das ist die äußere Erscheinung des Tals, die im allgemeinen, mit Ausnahme der trübseligen Straßen Elberfelds, einen sehr freundlichen Eindruck macht; daß dieser aber für die Bewohner verlorengegangen ist, zeigt die Erfahrung. Ein frisches, tüchtiges Volksleben, wie es fast überall in Deutschland existiert, ist hier gar nicht zu spüren; auf den ersten Anblick scheint es freilich anders, denn man hört jeden Abend die lustigen Gesellen durch die Straßen ziehen und ihre Lieder singen, aber es sind die gemeinsten Zotenlieder, die je über branntweinentflammte Lippen gekommen sind; nie hört man eins jener Volkslieder, die sonst in ganz Deutschland bekannt sind und auf die wir wohl stolz sein dürfen. Alle Kneipen sind, besonders Sonnabend und Sonntag, überfüllt, und abends um elf Uhr, wenn sie geschlossen werden, entströmen ihnen die Betrunkenen und schlafen ihren Rausch meistens im Chausseegraben aus. Die gemeinsten unter diesen sind die sogenannten Karrenbinder, ein gänzlich demoralisiertes Volk, ohne Obdach und sichern Erwerb, die mit Tagesanbruch aus ihren Schlupfwinkeln, Heuböden, Ställen etc. hervorkriechen, wenn sie nicht auf Düngerhaufen oder den Treppen der Häuser die Nacht überstanden hatten.[...]
[...] Die Gründe dieses Treibens liegen auf der Hand. Zuvörderst trägt das Fabrikarbeiten sehr viel dazu bei. Das Arbeiten in den niedrigen Räumen, wo die Leute mehr Kohlendampf und Staub einatmen als Sauerstoff, und das meistens schon von ihrem sechsten Jahre an, ist grade dazu gemacht, ihnen alle Kraft und Lebenslust zu rauben. Die Weber, die einzelne Stühle in ihren Häusern haben, sitzen vom Morgen bis in die Nacht gebückt dabei und lassen sich vom heißen Ofen das Rückenmark ausdörren. [...]
[...] Die wenigen kräftigen Gestalten, die man dort sieht, sind fast nur Schreiner oder andre Handwerker, die alle aus fremden Gegenden her sind; unter den eingebornen Gerbern sieht man auch kräftige Leute, aber drei Jahre ihres Lebens reichen hin, sie körperlich und geistig zu vernichten; von fünf Menschen sterben drei an der Schwindsucht, und alles das kommt vom Branntweintrinken. Dies aber hätte wahrlich nicht auf eine so furchtbare Weise überhandgenommen, wenn nicht der Betrieb der Fabriken auf eine so unsinnige Weise von den Inhabern gehandhabt würde, und wenn der Mystizismus nicht in der Art bestände, wie er besteht, und wie er immer mehr um sich zu greifen droht. Aber es herrscht ein schreckliches Elend unter den niedern Klassen, besonders den Fabrikarbeitern im Wuppertal; syphilitische und Brustkrankheiten herrschen in einer Ausdehnung, die kaum zu glauben ist; in Elberfeld allein werden von 2500 schulpflichtigen Kindern 1200 dem Unterricht entzogen und wachsen in den Fabriken auf, bloß damit der Fabrikherr nicht einem Erwachsenen, dessen Stelle sie vertreten, das Doppelte des Lohnes zu geben nötig hat, das er einem Kinde gibt. Die reichen Fabrikanten aber haben ein weites Gewissen, und ein Kind mehr oder weniger verkommen zu lassen, bringt keine Pietistenseele in die Hölle, besonders wenn sie alle Sonntage zweimal in die Kirche geht. Denn das ist ausgemacht, daß unter den Fabrikanten die Pietisten am schlechtesten mit ihren Arbeitern umgehen, ihnen den Lohn auf alle mögliche Weise verringern, unter dem Vorwande, ihnen Gelegenheit zum Trinken zu nehmen, ja bei Predigerwahlen immer die ersten sind, die ihre Leute bestechen. [...]

Friedrich Engels
Briefe aus dem Wuppertal

Geschrieben im März 1839.

Von der Kloake zum Ökopardies 
(MP3)

P.s.
Er holt seine Ideen aus der zweiten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts. Damals betrachteten die Sozialdarwinisten die Menschen wie eine Haustierrasse, deren Eigenschaften man durch Zuchtauswahl verbessern oder verschlechtern kann. Das ist die Welt des Thilo Sarrazin, der die deutsche Gesellschaft durch Ausgrenzung verbessern will. Das mit der Zuchtauswahl funktioniert nicht, das wissen wir inzwischen. Es gibt keine klugen Gene und keine dummen Gene - es gibt nur dumme Ideen. Aber das mit der Ausgrenzung, das funktioniert schon. Und deswegen müssen wir jetzt einfach nur Thilo Sarrazin ausgrenzen?
Nein. Weder die einen noch die anderen sind auszugrenzen. Eine Diskussion ist zu führen. Lösungsorientiertes Denken und Handeln muß dabei Ziel sein. Aber auch das offene und freie Wort. Jenes Wort, das Herr Sarrazin für sich so gerne in Anspruch nimmt. Und auch die Unterstellung einer unedlen Absicht des Herrn Sarrazin muß möglich sein. Nämlich die Absicht einer Symptomverlagerung und Projektion. Die Erschaffung neuer Sündenböcke, um von den eigenen Fehlern, Unfähigkeiten und menschlichen Schwächen ablenken zu können.
Eine Spaltung der Bevölkerung in Prekariat, in Ober- und Unterschicht haben wir ohne großes Murren hingenommen. Aus Gründen der Vernunft, und aus Einsicht in die Sachlage der Globalisierung. Bitter. Aber so scheint es zu sein. Eine weitere Spaltung der Bevölkerung auf der Grundlage von Angst vor dem, was man nicht kennt oder nicht kennen will, spielt jenen Denkern in die Hände, die weder die Kosten, noch die Verantwortung für die Finanzkrise übernommen haben oder gar zukünftig übernehmen werden.
Die zunehmenden Probleme dieses Planeten lassen sich nur gemeinsam lösen. Bürgerplattformen, Engagement und Verantwortung - Stärkung der Kommunen. 
Freiheit geht mit Verantwortung einher. Ausgrenzung jedoch führt zur Entfremdung. Zur Entfremdung von sich selbst und von der Gesellschaft. Doch was war es doch gleich, was Herr Sarrazin auf so provokante Art und Weise eingefordert hat? Mehr Integration?


Keine Kommentare: