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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Wohin man in diesen Tagen auch schauen mag...

Wohin man in diesen Tagen auch schauen mag, so scheint sich diese Gesellschaft wegzuducken. Die kollektive Verwirrung geht einher mit Existenzängsten und dem Schock der sogenannten Finanzkrise. Neoliberale werden zu Fürsprechern derjenigen, die über die letzten Jahre hinweg immer wieder vor den Folgen unserer "Wertschöpfungsketten" gewarnt hatten. Irrational gestaltete Finanzprozesse führen zu weiterer Verarmung der Menschen - auf Jahrzehnte hinaus. Paradoxe Erfahrungen sind an der Tagesordnung. In diesem System wird nicht mehr mit Waren gehandelt, sondern mit Verschuldungen. Derivate der Kreditanbieter, gelobt mit "AAA", haben die Wirtschaftsweisen in ihren Deutungen der Zukunft unglaubwürdig gemacht. Hunger, Krankheit und Leid waren in den letzten Dekaden nicht zu bekämpfen. Finanzlöcher hingegen werden mit unvorstellbaren Summen innerhalb von Tagen gestopft.

Öffentlichkeit ist der Sauerstoff der Demokratie. Gerechtigkeit gäbe Hoffnung. Solidarität stärkt.
Gibt es einen dritten Weg neben Sozialismus und Kapitalismus?
Eine etwas abgegriffene Weisheit besagt, dass Erfahrung das ist, was wir kriegen, wenn wir nicht kriegen, was wir wollen. Diese Aussage kann einer Enttäuschung von ihrer Bitterkeit nehmen, oder, wenn ironisch gemeint, ihre Schmerzlichkeit verschärfen.
Wir leiden unter einem analytischen Defizit. Wir müssen lernen, die Ursachen zu ergründen und neue Wege zu gehen, um die "Krise" zu bewältigen.

Hat das Einzelwohl etwas mit dem Gemeinwohl zu tun?
Was meinen diese Werte und was verhindert ihre Anwendung?

Wichtig ist nicht nur die unmittelbar gestellte Frage selbst, sondern auch das wahrhaftige Hinhorchen, nachdem wir diese gestellt haben. Nicht alles, was wir so zu hören kriegen, wird schmeichelhaft sein. Es ist immer wieder verblüffend, wieviel Klarheit zutage tritt, wenn wir uns selbst mit einigen aufrichtigen Fragen und einem horchenden Herzen begegnen.
Über lange Zeit hinweg waren dies jedoch Argumentationen von "Gutmenschen", die die Zusammenhänge und ineinandergreifenden Mechanismen der modernen Weltordnung nicht verstünden.


Das Wort Krise setzt sich im chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit.
John F. Kennedy


In einem Interview des Tages-Anzeiger sprach Guido Kalberer in Wien mit Peter Sloterdijk über sein neues Buch «Du musst dein Leben ändern».


Hier einige Auszüge:

Ihr neues Buch trägt den Titel «Du musst dein Leben ändern». Ist das auch ein Kommentar zur Finanzkrise?

Von weitem könnte man das so sehen. Die Krise hat das Bewusstsein dafür gestärkt, dass der Way of Life der modernen Zivilisation nicht haltbar ist.


Wieso nicht?

Weil er zu viele selbstzerstörerische Tendenzen freisetzt.

Jetzt kommt es ja zur Korrektur.

Ich bin nicht sicher. Gewiss, die gröbsten pyramidenspielartigen Elemente, die in irrealen Zinsversprechen lagen, werden jetzt korrigiert. Aber die Methoden sind dieselben geblieben. Es gibt eine Art von Wirtschaftskriminalität durch Ignoranz...
... Die fehlende Zukunftsfähigkeit unseres Gesamtsystems drückt sich schliesslich noch auf einer dritten Ebene aus, der ökologischen. Wir wissen um die Probleme unseres Planeten seit der ersten Öko-Bewusstheitsdämmerung in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren. Wenn wir den ersten Bericht des Club of Rome wieder zur Hand nehmen, müssen wir uns fragen: Was haben wir eigentlich in den letzten 30 Jahren gemacht?


Ja, was denn?

Wir haben uns in einer Belle-Epoque-artigen Pseudoentwarnung gesuhlt und eine Frivolitätskultur ohnegleichen aufgebaut – hinter uns liegt das längste Belle-Epoque-Syndrom aller Zeiten. Wir haben an der ökologischen Front ein ganzes Vierteljahrhundert verloren durch die vom Thatcherismus und Reaganismus ausgelöste neoliberale Frivolität.



Ihr neues Buch handelt von verschiedenen Kulturen der Selbstformung des Menschen durch das übende Leben. Die Einübung religiöser, literarischer, sportlicher oder therapeutischer Tätigkeiten durch Wiederholung prägt das menschliche Dasein – und formt die Einzelnen zu ethischen Wesen.

Ich wollte den Vorrang des praktischen Übens hervorkehren. Wir müssen uns nur klarmachen, dass die dominierende Form der Ethik von der Antike bis ins 18. Jahrhundert – nämlich die Tugendethik – eine Übungslehre war.

Wir müssen also das unwahrscheinliche andere Verhalten üben oder trainieren.

Der Trainingsbegriff stammt aus dem mittleren 19. Jahrhundert. Er beginnt seine Karriere in der Zeit, als die athletischen Übungsformen allmählich wieder erstarken, während die religiösen Übungen, die Askesen, in den Hintergrund treten. Man sollte nicht vergessen, dass in Europa die Schulen, auf denen die Aufklärung beruht, ihren Siegeszug begannen mit der subversiven Idee, die Lebensformen des Klosters auf Kinder auszudehnen. Es ist kein Zufall, dass die bedeutendste Schulmacht zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert der Jesuitenorden war.



Und aufgrund solchen Trainings bilden sich verschworene Gemeinschaften?

Die Trainierenden bilden die neue Gesellschaft. Sie sind die Elite, die den Pfad der Verwandlung betreten hat. Denken Sie an die frühen Buddhisten, die mit ihrem alten Leben brachen, oder an die mittelalterlichen Christen, die sich als Pilger verstanden – daher ihre Metaphysik der Nichtsesshaftigkeit. Für Menschen dieses Schlages war die Welt etwas, das preisgegeben werden musste, und dazu war ein scharfes Training unentbehrlich. Nicht zufällig haben sich die frühen Mönche «Athleten Christi» genannt. Sie schauten sich von den griechischen Sportlern die Lebensformen ab, die zu einem Dasein unter höchster Spannung gehörten. Die griechischen Athleten ihrerseits waren Zeitgenossen der indischen Yogi. Den Indern lag der Gedanke der Weltveränderung fern, aber Selbstveränderung, das war und blieb ihr erstes Gebot. Indien ist darum bis heute das Mutterland der transformativen Askese und der Meditation, während Europa sich entschieden hat, die gefährlichen Wege des Weltveränderungsgedankens abzuschreiten...

... Das Prinzip Weltveränderung betritt, wie ich zeige, im 17. Jahrhundert die Bühne. Im 18. und 19. Jahrhundert wandelt es sich zur Ideologie des Fortschritts, im 20. wächst es zu einer umweltvernichtenden Grossmacht heran. Seither fangen wir an zu begreifen, dass Weltveränderung ohne Selbstveränderung ein Zerstörungsprogramm bedeutet.



Quelle/ ganzes Interview:

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