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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Rund um die Meditation

Eine regelmäßige Meditationspraxis scheint Strukturveränderungen in den Bereichen des Gehirns zu bewirken, die Aufmerksamkeit und sensorische Verarbeitung steuern. Forscher fanden heraus, dass wichtige Bereiche der Hirnrinde bei meditations-erfahrenen Versuchspersonen stärker entwickelt waren. Die Studie wurde am 14. November in der Gesellschaft für Neurowissenschaften in Washington, DC vorgestellt und erscheint am 15. November in einem Artikel des NeuroReport. Die am Massachusetts General Hospital durchgeführt Untersuchung wurde unterstützt durch das Nationale Gesundheitsinstitut und zahlreiche renommierte Forschungseinrichtungen und Universitäten, wie Yale, Harvard und Massachusetts Institute of Technology.

"Unsere Resultate deuten darauf hin, dass Meditation auf Erfahrung basierende strukturelle Änderungen am Gehirn hervorrufen kann," sagt Sara Lazar, PhD, vom psychiatrischen Neuroimaging-Forschungsprogramm, die Leiterin der Studie. "Wir fanden auch Beweise dafür, dass Meditation den alterungsbedingten Abbau bestimmter Bereiche des Gehirns verlangsamen kann".

Langfristige Effekte durch Meditation waren bereits vermutet worden, da vorherige Studien eine veränderte Gehirntätigkeit gezeigt hatten und da Meditierende von lang anhaltenden Veränderungen der mentalen Funktionen berichteten. Bisher wurden jedoch zumeist buddhistische Mönche untersucht, für die Meditation zentraler Lebensinhalt war. Die aktuelle Studie sollte deshalb überprüfen, ob Meditation wie sie üblicherweise in den USA und anderen westlichen Ländern praktiziert wird die Struktur des Gehirns ebenfalls verändert. 20 Versuchspersonen mit einer durchschnittlichen Meditationspraxis von neun Jahren, die etwa eine dreiviertel Stunde täglich meditierten, wurden mit 15 Personen verglichen, die keine Erfahrung mit Meditation oder Yoga hatten.

Durch die Analyse von Bildern der Gehirnstruktur fanden die Forscher heraus, dass Gehirnregionen, die während der Meditation typischerweise besonders aktiv sind, bei den Meditierenden dicker waren, als bei der Kontrollgruppe. Sie fanden auch heraus, dass die Unterschiede der Cortex-Dicke in einem Bereich, der mit der Integration emotionaler und kognitiver Prozesse zusammen hängt, bei älteren Teilnehmern ausgeprägter waren. Dies legt die Vermutung nahe, dass Meditation das Verdünnen der Gehirnrinde verringern könnte, das gewöhnlich mit dem Altern auftritt.

Die betroffenen Bereiche sind im Gehirn von zentraler Bedeutung. Hier erfolgt „die Steuerung von Puls und Atmung, die Integration des Gefühls mit den Gedanken und das auf Belohnung gegründete Fällen von Entscheidungen“. Lazar bezeichnet den durch regelmäßiges Meditieren gestärkten Bereich als ein “zentrales Schaltpult des Gehirns".

Veröffentlicht am 15.11.05 im Vedamagazin
oder
http://www.vedamagazin.de/


Archiv · Artikel

Sonnenmoser, Marion
Mindfulness-basierte Therapie: Richtungsweisende Impulse
PP 4, Ausgabe September 2005, Seite 415
WISSENSCHAFT

Wie achtsamkeitsbasierte Ansätze die Psychotherapie bereichern können – damit befasste sich ein Symposium am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim.

Mindfulness“, zu deutsch „Achtsamkeit“, gilt als eine bedeutende therapeutische Neukonzep-
tion aus den USA. Da das Prinzip der Achtsamkeit schulen- und störungs-übergreifend angewendet werden kann, setzt man große Hoffnungen darauf, dass achtsamkeitsbasierte Elemente zukünftig von Vertretern verschiedenster Fachrichtungen aufgegriffen werden. Schon heute nennen US-amerikanische Vorreiter wie Jon Kabat-Zinn, Steven Hayes, Victoria Follette und Marsha Linehan die Ergänzung der kognitiv-behavioralen Therapie mit achtsamkeitsbasierten Elementen eine „Revolution“ und die „dritte Generation“. Diese Bezeichnung bezieht sich auf
die Entwicklung der kognitiv-behavioralen Therapie, die anfangs ausschließlich am Verhalten ausgerichtet war
(erste Generation) und später um ko-
gnitive Techniken erweitert wurde (zweite Generation). Die dritte Generation greift nun auf alte kontemplative und meditative Methoden zurück, wie sie etwa aus dem Buddhismus bekannt sind.
Dem Thema „Mindfulness-basierte Therapie“ widmete das Zentralinstitut für seelische Gesundheit (ZI) sein zweites State-of-the-Art-Symposium, das am 2. Juli 2005 in Mannheim stattfand. Zahlreiche renommierte Wissenschaftler aus dem In- und Ausland stellten neue Konzepte, Wirkmechanismen und empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit der Behandlung von Depressionen, Borderline-Störung, somatischen Störungen und Schmerzerkrankungen vor.
Unter Achtsamkeit wird eine besondere Form der Aufmerksamkeitslenkung verstanden. Den aktuellen Erlebnisinhalten wird „bewusst“, „im augenblicklichen Moment“ und „nicht wertend“ Aufmerksamkeit geschenkt. Kabat-Zinn beschreibt diese drei Bedingungen folgendermaßen: „Im augenblicklichen Moment“ bedeutet, im Kontakt mit dem gegenwärtigen Augenblick und nicht in Erinnerungen oder Zukunftsplanungen beziehungsweise
-grübeleien gefangen zu sein. Dass dies nicht selbstverständlich ist, zeigt die alltägliche Erfahrung, dass unser Bewusstsein während einer bestimmten Handlung mit völlig anderen Inhalten beschäftigt ist. Kabat-Zinn spricht hier von einem „Autopilotenmodus“. Achtsamkeitsübungen haben daher zum Ziel, das Bewusstsein wieder in den gegenwärtigen Augenblick zu holen und mit der aktuellen Tätigkeit in Übereinstimmung zu bringen.
Bewusst – nicht wertend – im Hier und Jetzt „Bewusst“ oder „absichtsvoll“ ist diese Haltung, weil der Übende sich bewusst das Ziel setzt, diese Achtsamkeit möglichst in allen Lebenssituationen – und zwar in angenehmen und unangenehmen – aufrechtzuerhalten. Angesichts der menschlichen Neigung zu Selbstvergessenheit und gedanklichem Abschweifen erfordert dies viel Geduld und beständiges Sich-wieder-Besinnen. „Nicht wertend“ bedeutet, dass auch der Akt des Bewertens, der quasi unvermeidlich ist, nicht bewertet werden soll.
Tiefe Achtsamkeit zeichnet sich durch ein bewusstes Erleben im „Hier und Jetzt“ aus. Sie zielt nicht auf eine
intentionale, willentliche Anstrengung oder kontrollierte Informationsverarbeitung, sondern wird als ein „Im-Fluss-Sein“ erlebt. „Eine zentrale Annahme achtsamkeitsbasierter Ansätze ist, dass der Autopilotenmodus flexibles und situativ angemessenes Handeln erschwert“, sagen der Frankfurter Psychologe Dr. Thomas Heidenreich und sein Bochumer Kollege Dr. Johannes Michalak. In der Theorie wird fehlende Achtsamkeit in Verbindung gebracht mit Prozessen wie Grübeln, Erfahrungsvermeidung und ungünstigen metakognitiven Prozessen.
Achtsamkeitsbasierte Ansätze sollen verhaltenstherapeutische Programme nicht ersetzen, sondern erweitern, etwa durch die Dialektik zwischen Veränderung und Akzeptanz. Während der Schwerpunkt verhaltenstherapeutischer Intervention fast ausschließlich auf der Veränderung liegt, wird in achtsamkeitsbasierten Ansätzen verstärkt das Prinzip der Akzeptanz betont. Sowohl Hayes als auch Linehan weisen auf die Notwendigkeit hin, zwischen Dingen zu unterscheiden, die verändert werden können und sollen (zum Beispiel belastende Lebenssituationen) und Dingen, die akzeptiert werden sollten (zum Beispiel Gedanken und Gefühle). Ein grundlegendes Therapieprinzip ist daher die Entwicklung von Akzeptanz. Darüber hinaus kommt dem Körper eine zentrale Rolle zu. Auch in der klassischen Verhaltenstherapie wird auf körperliche Vorgänge Bezug genommen, sie bleiben jedoch entweder nur das Ziel therapeutischer Interventionen, oder sie stellen Informationsquellen dar, die im Rahmen von Interventio-
nen genutzt werden können. In achtsamkeitsbasierten Ansätzen hingegen ist die achtsame Wahrnehmung des körperlichen Erlebens entscheidend. Die Übenden sollen lernen, nicht in ihren Gedanken zu leben, sondern die Achtsamkeit auf den Körper als Gan-
zes auszudehnen. Diesem „In-Kontakt- Sein mit dem Körper“ wird bereits eine therapeutische Funktion an sich zugesprochen. Es ermöglicht, Emotionen zu verarbeiten und die „Weisheit des Körpers“ für das eigene Handeln zu nutzen.
Zu den derzeit wichtigsten achtsamkeitsbasierten Ansätzen zählt die Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) nach Jon Kabat-Zinn. Dieser Ansatz, der unter anderem auf buddhistische Traditionen zurückgreift, wird zu den verhaltensmedizinischen Interventionen gerechnet. Das Programm wird bei verschiedenen psychischen und körperlichen Krankheiten angewendet und in Gruppen von bis zu 30 Patienten durchgeführt. Es umfasst acht wöchentliche Sitzungen von etwa zwei Stunden Dauer sowie einen „Tag der Achtsamkeit“. Jede Sitzung hat einen Themenschwerpunkt, in dem wesentliche Achtsamkeitsprinzipen, wie etwa der Autopilotenmodus, erklärt werden. In den Gruppensitzungen werden formelle und informelle Übungen durch-
geführt. Eine formelle Übung ist etwa der „Body-Scan“, bei dem einzelne Körperteile aufmerksam nacheinander wahrgenommen werden. Eine informelle Übung besteht darin, eine Routineaktivität des Tages mit voller Achtsamkeit zu tun. In den folgenden Sitzungen werden Übungen aus dem Hatha-Yoga sowie Achtsamkeit auf angenehme und unangenehme Ereignisse eingeführt. Danach nimmt die Atemmeditation eine wichtige Rolle ein. Dabei wird die Achtsamkeit auf Empfindungen beim Atmen gerichtet. Schweift die Aufmerksamkeit zu Gedanken, Emotionen oder Körperempfindungen ab, wird dies bewusst zur Kenntnis genommen, und der Fokus der Achtsamkeit wird wieder sanft zum Atem zurückgeführt. Wichtig dabei ist es, immer wieder zu den Empfindungen des Atems zurückzukehren und dabei weiterhin akzeptierend und mitfühlend mit sich umzugehen. Das Ziel besteht nicht darin, Atem, Gedanken oder andere Bewusstseinsinhalte zu verändern oder zu kontrollieren, sondern sich zu erlauben, im gegenwärtigen Augenblick zu sein und nur das Vorhandene bewusst wahrzunehmen. Diese Haltung wird als „being mode“ bezeichnet, im Gegensatz zum sonst meist vorherrschenden „doing mode“. Ergänzend zu diesen Übungen erhalten die Patienten umfangreiche Hausaufgaben und werden in die Stressforschung eingeführt. Den Abschluss des Programms bilden Strategien, um die eingeübten Techniken auch längerfristig in den Alltag zu integrieren. Empirische Studien weisen darauf hin, dass MBSR zu einer Verminderung von Stress, Angst und Dysphorie beitragen kann. Wie die Psychologin Ph. D. Ruth Baer von der University of Kentucky berichtet, belegen verschiedene Studien, dass mit MBSR auch Behandlungserfolge bei chronischen Schmerzen, Fibromyalgie, Panikstörung und Binge Eating Disorder erzielt werden konnten. Ferner gibt es erste Hinweise darauf, dass MBSR selbst bei schweren Persönlichkeitsstörungen, Abhängigkeitserkrankungen und Zwangsneurosen gewinnbringend eingesetzt werden kann. Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression. Ein weiterer populärer Ansatz ist die Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Depression (MBCT) der britischen beziehungsweise kanadischen Psychologen Zindel Segal, Mark Williams und Julia Teasdale. Im Gegensatz zur MBSR ist die MBCT störungsspezifisch. Sie wurde entwickelt, um das Rückfallrisiko von Patienten mit rezidivierenden depressiven Störungen zu senken. Es zeigte sich nämlich, dass ein Teil der Patienten trotz erfolgreicher pharmakologischer und psychologischer Behandlung einen Rückfall erleidet. Ein möglicher Mechanismus depressiver Rückfälle könnte darin bestehen, dass depressive Episoden die Aktivierung von negativen Gedanken und Gefühlszustän-
en fördern. Das geschieht hauptsächlich in Zuständen mit moderat gedrückter Stimmung. Etablieren sich diese Denk- und Fühlweisen immer fester, so erhöht sich das Rückfallrisiko deutlich. Gelingt es hingegen, negative Gedankenmuster frühzeitig zu unterbrechen, kann der Rückfall verhindert werden. Durch MBCT soll daher die Fertigkeit erworben werden, Geisteszustände, die durch grüblerische negative Gedanken gekennzeichnet sind, zu erkennen und sie loszulassen. Auch hier spielt das Prinzip der Akzeptanz eine Rolle. Dysfunktionale Kognitionen werden nicht mehr gezielt verändert, sondern es wird eine achtsame und akzeptierende Haltung gegenüber Gedanken gefördert. Gleichzeitig werden die Patienten angeleitet, sich nicht mit den Gedanken zu identifizieren. Dadurch wird eine Fortsetzung der Depressionsspirale verhindert, was längerfristig zu einem spontanen Auflösen der dysfunktionalen Gedanken, auch ohne gezielte Bemühungen, führen soll. Negative Gedanken werden also nicht mehr disputiert und auch nicht mehr persönlich genommen. Stattdessen werden sie einfach nur wahrgenommen, während gleichzeitig ihre flüchtige Natur erkannt wird.
Das MBCT-Programm entspricht in vielen Punkten dem MBSR-Programm, es wird jedoch nur in Gruppen von maximal zwölf Patienten durchgeführt. In den ersten Sitzungen wird Achtsamkeit erlernt und eingeübt, in späteren Sitzungen kommen klassische kognitive Interventionen zum Einsatz, wie beispielsweise Psychoedukation und Umgang mit automatischen Gedanken. Erste empirische Ergebnisse zeigen, dass mit MBCT die Anzahl der Rückfälle um die Hälfte gesenkt werden kann, allerdings hauptsächlich bei Patienten, die zuvor mindestens drei depressive Episoden erlebt hatten. MBCT trägt außerdem dazu bei, das übergenerelle autobiografische Gedächtnis zu reduzieren, das bei Depressionen als ätiologisch relevant angesehen wird. Es ist also davon auszugehen, dass durch MBCT wesentliche Rückfallfaktoren beeinflusst werden können. Dialektische Therapie der Borderlinestörung In der Dialektischen Therapie der Borderlinestörung (DBT) nach Marsha Linehan stehen die Achtsamkeitsprinzipien nicht im Zentrum der Behandlung, sondern haben einen Platz neben anderen Elementen. Achtsamkeit steht am Beginn des Fertigkeitstrainings und umfasst mehrere Aspekte, wie etwa beobachten, beschreiben und eine nicht-wertende Haltung einnehmen. Konkrete Übungen werden im Gruppensetting durchgeführt und beziehen sich beispielsweise darauf, körperliche Empfindungen achtsam wahrzunehmen oder eine veränderte Beziehung zu Gedanken und Gefühlen herzustellen. Obwohl mittlerweile eine Reihe positiver empirischer Befunde zum Einsatz der DBT bei Borderlinestörungen vorliegt, ist der Beitrag der achtsamkeitsbasierten Elemente noch nicht einzuschätzen.
Wie Nachbefragungen von Patienten zeigen, finden aufmerksamkeitsbasierte Ansätze und Methoden großen Anklang und werden weitestgehend akzeptiert. So berichtet etwa Kabat-Zinn, dass 86 Prozent der Teilnehmer eines MBSR-Programms das Gefühl hatten, „etwas Wertvolles für ihr weiteres Leben“ gelernt und „neue Lebensperspektiven“ entwickelt zu haben. Die Patienten empfinden es als Vorteil, neue Fertigkeiten und Erkenntnisse erworben zu haben und mit weniger Medikamenten auskommen zu können. Dass achtsamkeitsbasierte Ansätze nachhaltig wirken, zeigt auch die hohe Rate derjenigen Patienten, die meditative Übungen in ihren Alltag integrieren.
Achtsamkeitbasierte Interventionen können leicht erlernt und später von den Patienten auch selbstständig durchgeführt werden. Sie decken zahlreiche Indikationen ab und können fach- und schulenübergreifend angewendet werden. Achtsamkeitsbasierte Ansätze können richtungsweisende Impulse für die Psychotherapie im 21. Jahrhundert liefern. Die Vorträge auf dem Mannheimer State-of-the-Art-Symposium und die einschlägige Literatur zeigen, dass Experten aller Couleur dem Prinzip der „Achtsamkeit“ ein beträchtliches Potenzial für die zukünftige Behandlung körperlicher und psychischer Erkrankungen zusprechen. In Deutschland muss dieses Potenzial jedoch erst noch entdeckt werden. Dr. phil. Marion Sonnenmoser

Literatur
1. Baer R: Mindfulness training as a clinical intervention: A conceptual and empirical review. Clinical Psychology: Science and Practice (in press).
2. Hayes S, Follette V, Linehan, M: Mindfulness and Acceptance. New York: The Guildford Press 2004.
3. Heidenreich T, Michalak J: Achtsamkeit als Therapieprinzip in Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin. Verhaltenstherapie 2003; 13: 264–274.
4. Grossmann P, Niemann L, Schmidt S, Walach H: Mindfulness-based stress reduction and health benefits.
A meta-analysis. Journal of Psychosomatic Research 2004; 57: 35–43.
5. Kabat-Zinn J: Full catastrophe living. New York: Dell Publishing 1991.


Briefe zum Artikel

» Achtsamkeit: Potenzial erst noch entdecken

"Achtsamkeit" ist in den letzten Jahren zu einem Schlagwort unter esoterisch oder psychologisch interessierten Menschen georden. Oft versteht man darunter einen rücksichtsvollen, zartfühlenden Umgang mit anderen, mit der Umwelt und sich selbst. Doch dies ist nur eine sehr oberflächliche Definition, denn "Achtsamkeit" ist gleichermaßen ein zentraler Begriff der buddhistischen Philosophie und mittlerweile auch der westlichen psychologischen und psychotherapeutischen Forschung.

Allen modernen Konzepten der Achtsamkeit ist gemeinsam, dass sie als Variationen eines grundlegenden, buddhistischen Themas aufgefasst werden können. Dieses Thema lässt sich am kürzesten und prägnantesten durch die Worte des Buddha selbst zusammenfassen. Seine Schüler fragten ihn: „Es gibt zu viele Lehrer, wem sollen wir glauben.“ Buddha antwortete: „Verlasst euch nicht auf die Tradition, die Heiligen Schriften, Autorität oder Philosophie. Erst wenn ihr selber seht, dass eine Praxis zum Leiden oder zum Wohlergeben führt, solltet ihr sie zurückweisen oder annehmen.“

Eine Viertelstunde Achtsamkeit

  1. Setzen Sie sich in einen Sessel. Suchen Sie eine möglichst bequeme Position. Schließen Sie die Augen. Versinken Sie in Ihrem Sessel. Vergegenwärtigen Sie sich, wie Ihr Sessel Sie stützt und hält. Nehmen Sie den Druck wahr, den der Sessel auf ihren Körper ausübt.
  2. Lassen Sie alles zu, was in Ihr Bewusstsein tritt (Gedanken, Gefühle, Stimmungen, Bilder). Lassen Sie alles fließen.
  3. Widmen Sie Ihre Aufmerksamkeit jenen Bewusstseinsinhalten, die sich in den Vordergrund drängen. Achten Sie auf die Art der Gedanken und geben Sie Ihnen Namen (z. B. Analyse, Planung, Erinnerung u. ä.)
  4. Nach etwa zehn bis fünfzehn „gefühlten“ Minuten atmen Sie einige Male tief durch und öffnen die Augen.
    (aus: Germer et al. 2005)

© DIE ZEIT, 15.03.2007 Nr. 12

Buddhismus im Labortest

Lässt sich Bewusstsein mittels Training verändern? Um das herauszufinden, meditiert der Physiker und Buddhist Alan Wallace drei Monate lang unter wissenschaftlicher Kontrolle mit 37 Probanden

DIE ZEIT: Stimmt es, dass Sie drei Monate lang für niemanden zu sprechen sein werden?

Alan Wallace: Stimmt. Wir beginnen heute mit dem Shamatha-Projekt in einem abgeschiedenen Haus in den Bergen. Wir haben aus Hunderten von Bewerbern 37 Leute ausgesucht, auch Agnostiker und Christen. Die nächsten drei Monate werden wir jeden Tag acht bis zehn Stunden meditieren. Kein Telefon, kein Fernseher.

ZEIT: Was genau wird da passieren?

Wallace: Wir haben ein halbes Dutzend Hirnforscher, Psychologen, Neurobiologen und Ärzte sowie zwei mobile Labore bei uns. Damit wird die Gruppe – sowie eine Kontrollgruppe – zu Beginn, in der Mitte und am Ende der Klausur untersucht. Mit Elektroenzephalografie (EEG) und Kernspintomografie werden Gehirnströme und die Veränderungen in der Aufmerksamkeit gemessen, aber es werden auch physiologische Daten untersucht.

ZEIT: Was genau ist Meditation, und was davon lässt sich messen?

Wallace: Es gibt verschiedene Formen. Shamatha ist Aufmerksamkeitstraining, und wir lehren drei Methoden: erstens die Konzentration auf den eigenen Atem, zweitens das Bewusstwerden des natürlichen Zustands des Geistes, in dem das Geschnatter der Gedanken nach und nach verstummt, und drittens die Wahrnehmung der Natur – des Bewusstseins an sich. Außerdem üben wir uns in der Meditation in Liebe, Mitgefühl, in empathischer Freude und Gleichmut.

ZEIT: Was erhoffen Sie sich von ihrer Studie?

Wallace: Die Wissenschaft weiß sehr wenig über die Trainierbarkeit von Aufmerksamkeit. Shamatha wurde von Buddha gelehrt, um die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit zu trainieren. Wir erwarten also, dass die Meditierenden sich signifikant besser konzentrieren können, und zwar über lange Zeit und ohne zu schwanken. Gleichzeitig sollten Körper und Geist messbar entspannt sein, und die geistige Präsenz sollte zunehmen, sodass man auch sehr flüchtige und augenblickskurze Ereignisse wahrnimmt, die normalerweise der Aufmerksamkeit entgehen. Das Shamatha-Projekt ist eine bahnbrechende Studie, denn zum ersten Mal wird untersucht, wie Aufmerksamkeit funktioniert. Kann man sie trainieren? Wenn ja, wie beeinflusst das den Körper? Ist es effektiver, wenn man sich auf den Atem konzentriert, auf ein geistiges Bild oder auf das Bewusstsein an sich? Entwickeln die Meditierenden wirklich Liebe und Mitgefühl, oder machen sie sich bloß vor, sie seien nettere Menschen? Wir können das mit wissenschaftlichen Methoden messen.

ZEIT: Wie weisen Sie nach, dass sich jemand nicht nur netter fühlt?

Wallace: Ein konkretes Beispiel: Wir zeigen den Meditierenden am Ende ein Bild eines Babys mit einem Tumor über dem Auge. Die meisten Betrachter zeigen als erste Regung, wenn sie das entstellte und leidende Baby sehen, Abscheu. Wenn man Meditierenden dieses Foto nach drei Monaten von Mitgefühlspraxis zeigt, sollten sie Mitgefühl spüren statt Abscheu.

ZEIT: Ihr Kollege im Vorstand des Mind & Life Institute, der Neurobiologe Richard Davidson, hat Mönche des Dalai Lama untersucht und nicht nur kurzfristige Auswirkungen von Meditation auf das Gehirn und das Immunsystem festgestellt, sondern eine langfristige Umprogrammierung des Gehirns. Die Areale, die für positive Empfindungen und Empathie zuständig sind, waren signifikant und dauerhaft vergrößert. Glauben Sie tatsächlich, dass man sich mit Meditation neu programmieren kann?

Wallace: Er hat Meditierende in Bhutan und Indien untersucht, die in ihrem Leben etwa 60.000 Stunden meditiert haben. Das sind Meditierende in der Olympia-Klasse. Es überrascht nicht besonders, dass das gravierende Auswirkungen hat. Man braucht etwa 5000 bis 10000 Stunden Training, um ein Arzt oder Anwalt zu werden – wir sprechen also über ein hohes Niveau an professionellem Meditationstraining. Was er nicht gezeigt hat, ist: Wie sind sie dahin gekommen? In Tibet galt es als bewundernswert, wenn jemand ein Leben in meditativer Abgeschiedenheit wählte, hier wird man milde belächelt.

ZEIT: Als der Dalai Lama die Studie beim weltgrößten Neurobiologen-Kongress in Washington vorstellen wollte, protestierten einige Dutzend Wissenschaftler: Es sei unwissenschaftlich, Studien mit Religion zu vermischen. Kein abwegiger Vorwurf, oder?

Wallace: Das war politisch motiviert. Es stellte sich heraus, dass die meisten dieser Kollegen chinesischer Herkunft waren. Aber hinterher bekam der Dalai Lama Standing Ovations, das hatte es noch nie gegeben.

ZEIT: Mittlerweile wird Meditation in Krankenhäusern und Schulen eingesetzt. Studien haben gezeigt, dass es zur Stressreduzierung und zur Stärkung des Immunsystems beitragen kann. Eigentlich geht es in der buddhistischen Meditation aber nicht um Selbstverbesserung, sondern um die Auflösung des Egos. Ist das neue Marketing von Meditation nicht ein Widerspruch?

Wallace: Der Sanskrit-Begriff für Meditation bedeutet ursprünglich »kultivieren«. Also fragen Sie sich: Welche positiven Qualitäten in Körper und Geist will ich kultivieren? Meditation basiert auf ethischen Prinzipien. Wir halten unser Ich in der Regel für unabhängig, einzigartig und dauerhaft. Durch buddhistische Meditation stellt man fest: Dies ist eine Illusion. Wir kultivieren also nicht das Ego, sondern Achtsamkeit und Weisheit.

ZEIT: Sie kennen beide Welten, die der Wissenschaft und die des Buddhismus. Was kann die Wissenschaft vom Buddhismus lernen?

Wallace: Vor allem im 20. Jahrhundert wurden die Wissenschaften von der materialistischen Perspektive dominiert. Das ist in Ordnung, wenn man Geologie studiert, aber nicht, wenn es darum geht, den Geist an sich zu erforschen. Das kann man nur durch Introspektion. Die Wissenschaftler studierten Verhaltensweisen und geistige Erkrankungen, aber sie wissen fast nichts darüber, was das Bewusstsein eigentlich ist. Sie konzentrieren sich auf geistige Krankheiten wie Depression, aber sie wissen nicht, in welchem Ausmaß man den Geist trainieren und dauerhaftes, echtes Glück entwickeln kann. Der Buddhismus hat 2500 Jahre Erfahrung darin, Teleskope zu bauen, mit denen man in den Geist schauen kann. Das beste Teleskop ist Meditation.

ZEIT: Und was kann der Buddhismus von den Wissenschaften lernen?

Wallace: Es gibt zwei besorgniserregende Trends im Westen: Der eine ist die Verwandlung von Buddhismus in Therapie. Meditation hilft bei Krankheiten, reduziert Stress, macht gelassener, fördert die Konzentration. Das ist alles gut und schön, aber der Buddha ist nicht im Alter von 29 Jahren aus seinem Königshaus ausgezogen, um eine Methode zu finden, Hämorrhoiden zu heilen. Auch in Tibet waren für Kranke die Ärzte zuständig, nicht die Meditationslehrer. Der andere Trend sind Hardcore-Buddhisten, die nur ihre eigene Lehre gelten lassen. Buddha hat uns ermutigt, den Buddhismus zu testen. Also prüfen wir: Kann er das Bewusstsein wirklich befreien? Was die Wissenschaft beitragen kann, sind Skepsis, strikte Empirie, Rationalität. Wissenschaft kann die Effektivität von buddhistischer Praxis messen.

ZEIT: Wie kann jemand, der sich für Meditation interessiert, auch ohne EEG einen Scharlatan von einem authentischen Lehrer unterscheiden?

Wallace: Gar nicht. Wenn man nicht weiß, was Meditation ist, kann man auch nicht erkennen, wer ein echter Lehrer ist. Es gibt einige mit viel Charisma oder Sex-Appeal. Man muss sich in Büchern informieren, wer unter Buddhisten als renommiert und glaubwürdig gilt, auch wenn das kein absolutes Kriterium ist. Seine Heiligkeit der Dalai Lama ist jemand, der von allen Seiten anerkannt wird, das ist also ein guter Start. Wenn Sie sich schon mal grundlegend informiert haben, seien Sie mutig, melden Sie sich für einen Meditationskurs an, und schauen Sie, was passiert: Wichtig ist nicht, ob der Lehrer beeindruckend ist, sondern was geschieht, wenn man die Belehrungen in die Praxis umsetzt. Sind sie hilfreich oder nicht? Man muss pragmatisch rangehen. Und es hilft, sich vorher ernsthaft zu fragen, warum man meditieren will. Will man Löffel verbiegen lernen, einen neuen Partner kennenlernen oder wirklich größere Achtsamkeit entwickeln?

Das Gespräch führte Michaela Haas

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