Navigation

Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Der Sinn des Bösen

Aus: Salzburger Nachtstudio

Für den Gießener Psychoanalytiker und Doyen der Friedensforschung, Horst Eberhard Richter, ist der Ursprung des Bösen die Selbstüberhöhung. "Der Mensch kann die eigenen negativen Seiten und Unsicherheiten nicht bewältigen, aus diesem Grund muss er das Böse externalisieren, um die eigene Selbstüberhöhung zu rechtfertigen", schreibt Horst Eberhard Richter anlässlich einer Gastprofessor, die er in Wien inne hatte.

Und für die schlimmste Selbsttäuschung hält H. E. Richter "die Unterdrückung derjenigen emotionalen Kräfte, die für den Zusammenhalt der menschlichen Gemeinschaft unentbehrlich sind. Wenn zur Sicherung des Zusammenlebens Massenvernichtungswaffen inzwischen mehr vertraut wird als der persönlichen Kraft der Menschlichkeit, dann braucht man das absolute Böse in Gestalt der Feinde zur Maskierung der eigenen Unmenschlichkeit."

Und daher sind für Richter auch "Die Anhäufung der gewaltigsten Vernichtungsmittel unbewusst ein Symptom der Verzweiflung." So hat für den Psychoanalytiker "der Krieg der Völker, der Hass zwischen den Menschen und Vernichtungstrieb unter ehemaligen Freunden weniger mit einem ursprünglichen Todestrieb als mit einem tiefen, unbewussten Sühnebedürfnis zu tun, das auf keine Instanz mehr hofft, die Trost und Versöhnung anbieten kann."
 
Er ist die graue Eminenz der deutschen Psychoanalyse und der Friedensbewegung. Der 86-jährige Horst-Eberhard Richter war in der Hitler-Jugend und Soldat an der Ostfront. Gefragt, ob er dort getötet habe, sagt er: "Ja, natürlich". Richter wurde davon geprägt und traumatisiert, wie eine ganze Generation Intellektueller, die die deutsche Katastrophe miterlebt haben. 1981 verfasste er den Klassiker der Friedensbewegung: "Alle redeten vom Frieden". Die kalten Krieger rüsten auf: Sicherheit durch atomare Abschreckung. Anfang der 1980er Jahre steht Deutschland zwischen den Blöcken, wird zur Projektion ideologischer Fronten. Horst-Eberhard Richter analysiert in seinem Buch "Alle redeten vom Frieden" den Risikopatienten Gesellschaft. "In der Psychotherapie spricht man von einer 'paradoxen Intervention', wenn man Negatives verstärkt, um eine konstruktive Reaktion herauszufordern", erklärt Richter.

„Es gibt eine kreisförmige Wechselbeziehung zwischen Machen und Erkennen. Wenn man nicht macht was man als notwendig, wenn auch mit persönlichen Unannehmlichkeiten behaftet, erkannt hat, dann kann man irgendwann auch nicht mehr erkennen, was zu machen ist. Wer Anpassungszwängen taktisch nachgibt, wohl wissend, dass er ihnen mit vertretbarem Risiko widerstehen könnte und auch sollte, wird nach und nach die Unzumutbarkeit von Anpassungsforderungen gar nicht mehr wahrnehmen, d.h., die eigene Gefügigkeit auch nicht mehr als Fluchtreaktion durchschauen. Alles erscheint normal: die Verhältnisse, denen er sich ergibt, und der Verzicht auf Gegenwehr, den er eben gar nicht mehr erlebt.“
Richter im Vorwort zu „Psychoanalyse und Politik“

Horst Eberhard Richter in einem Interview der DIGITAZ vom 26.10.2007 zu seinem Verhalten und Empfindungen im WW II und zu Afganistan heute...


Heißt das, dass Sie überhaupt keine Todesangst hatten?
So eine tiefe Angst hat man gar nicht. Man hat gar nicht die Zeit dazu. Man ist so funktional eingestellt, dass man in jeder Sekunde überlegt: Was muss ich tun? Es gibt da nur Kommandos und Feuer und fertig. Man bewegt sich so, als wäre es Routine. Egal ob neben einem Leute tot da liegen, sterben oder jammern. Eine hektische Pragmatik.
Keinerlei Hemmungen?
Sie meinen Tötungshemmungen?
Ja.
Nein. Das ist fast wie in diesem Charly-Chaplin-Film.
Wie in "Modern Times"?
Genau. Als Soldat wird man wirklich zum reinen Werkzeug. Es ist schwierig, dieses mechanische Leben zu beschreiben. Es hilft jedenfalls. Wir in der Psychoanalyse nennen das Regression. Die Niveausenkung des psychischen Apparats. Die Ausschaltung des Gewissens, um das innere Gleichgewicht zu bewahren. Man wird auf Stand-by reduziert.
Und heute? Wo wieder deutsche Soldaten im Kampfeinsatz sind?
Heute ist das anders. Heute wird das Sterben und Töten zum Schützen und Helfen.
Wie meinen Sie das?
Der Jung hat eine Sprachtechnik, die dem Soldaten pausenlos in den Kopf hämmert: Du bist ja nur dazu da, um zu schützen. Du bist ja nur dazu da, um die anderen nicht im Regen stehen zu lassen. Der Kohl konnte das auch. Es wäre gemein, wenn wir Deutschen jetzt nicht den anderen Nato-Soldaten helfen würden.
Eine Art sprachliche Umwidmung?
Der Verteidigungsminister kann das fabelhaft. Es gibt eine karitative, moralisierende Logik, in der das Töten und das Schießen und das Morden umgekehrt werden zu einer guten, sozialen Tat.
In Afghanistan.
Genau. Das hat Jung jetzt wieder gesagt: Auch wenn wir jetzt nicht im Süden Afghanistans kämpfen, werden wir den Amerikanern - und wer da noch alles in Not ist - beistehen, helfen und sie nicht alleine lassen. Also für mich ist das ganz fantastisch. Diese caritativ-therapeutische Sprachwelt, die da auftaucht, nur um das Gegenteil von dem zu suggerieren, was wirklich passiert. Alles dient nur dazu, das Böse abzuwenden.
Defensiv ist doch auch der Satz: "Deutsche Interessen werden am Hindukusch verteidigt." Warum sagt man denn nicht die Wahrheit - und zwar: Soldaten töten und sterben doch auch in Afghanistan.
Ja. Aber dieser Gedanke strengt zu sehr an. Sehen Sie mal: der Bush. Der hat den Irak angegriffen, um die Welt zu beschützen und um Amerika zu beschützen. Jetzt hat er gesagt: Wenn man im Iran nicht für Ordnung sorgt, dann wird der Iran die ganze Welt bedrohen. Er malt einen nuklearen Holocaust an die Wand. Die gesamte kulturelle Mentalität bei uns, repräsentiert durch Bush oder durch Jung oder durch Schäuble, ist eingestellt auf eine gespaltene Welt. Und wenn man sich den ersten Kreuzzug mal anschaut, dann war das schon damals ganz genauso. Papst Urban der II. hat im Jahre 1095 in Clermont eine Rede gehalten mit der Botschaft: Entweder ihr seid auf unserer Seite, der Seite Gottes, oder ihr seid auf der Seite der gottlosen Schurken und Muslime. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor?

"Man kann sich nicht für das Böse entscheiden, sondern man kann sich nur für etwas Gutes entscheiden. Jeder, der etwas Böses tut, verfolgt ein für ihn gutes Ziel, aber er reißt das Gute aus dem Zusammenhang."

Keine Kommentare: