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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Psychoanalyse - Krise der westlichen Gesellschaft

Seit einiger Zeit beschäftige ich mich mit den Verpflechtungen von Buddhismus und Psychoanalyse. Hierbei bin ich durch eine Empfehlung auf ein Buch von Erich Fromm und T. Suzuki aufmerksam gemacht worden: "ZEN-BUDDHISMUS UND PSYCHOANALYSE". Dafür möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bei Claus bedanken.

Erich Fromm:

Tiere leben in einer vollkommenen Harmonie mit der Natur. Sie leben unter Bedingungen, die sie als gegeben hinnehmen und mit denen sie somit fertig werden können. Im Gegensatz zum Tier hat sich im Menschen durch die ihm gegebene Vernunft die Fähigkeit entwickelt, seine Umwelt zu transzendieren und somit über die Oberfläche der ihn umgebenden Gegebenheiten hinaus zu gelangen. Er hat sich über die Natur erhoben und kann sie in gewissen Maßen erschaffen und beherrschen. Diese höchste Gabe des Menschen ist zugleich sein Fluch. Ganz pragmatisch lässt er sich als Anomalie der Natur beschreiben, denn im Menschen ist sich „das Leben [...] seiner selbst bewußt“ geworden. So weiß er nicht nur von der Zufälligkeit seines Daseins, sondern auch von der Begrenztheit seines Lebens. Obwohl er noch immer ein Teil der Natur ist, ist er auch aus ihr verstoßen und die Harmonie mit ihr ist für immer verloren. Durch diese Erkenntnis entsteht im Menschen ein großes Gefühl der Hilflosigkeit und Machtlosigkeit. Er muss selbst leben und Entscheidungen treffen und jeder Schritt in eine andere Richtung ist angsterregend, weil man bereits bekannte und somit sichere Zustände verlässt. Das größte Problem des Menschen ist seine reine Existenz. (Vergleiche dazu auch das Für-sich-Sein von Jean Paul Sartre.)

Das menschliche Leben ist von einer unüberwindbaren Polarität zwischen Regression und Progression beherrscht: Auf der einen Seite steht die Sehnsucht nach der verlorenen Harmonie mit der Natur, die in seiner einst besessenen tierischen Existenz waltet. Auf der anderen Seite strebt er nach dem „Erreichen einer menschlichen Existenz“, die seinen vernunftbedingten Fähigkeiten entspricht und ihm die Lösung des Problems seiner Existenz verspricht. Dieser Zustand bringt ihn auf eine ständige Suche nach Harmonie und macht ein statisches Dasein unmöglich. Sind die tierischen Bedürfnisse (Hunger, Schlaf, Sexus etc.) erst befriedigt, treten die spezifisch menschlichen Bedürfnisse in den Vordergrund: „Alle Leidenschaften und Strebungen des Menschen sind Versuche, eine Antwort auf seine Existenz zu finden, oder man könnte auch sagen, sie sind Versuche, der Geisteskrankheit zu entgehen.“


T. Suzuki:

Auf der Suche nach Lebensantworten beschäftige sich der gelegentlich von Depressionen verfolgte junge Mann stark mit religiösen und philosophischen Fragen. Hierbei studierte er die östliche und westliche Literatur und konsultierte sowohl traditionelle, buddhistische Mönche als auch christliche Missionare. Da jedoch in puncto Religion Zen der Rinzai Schule in der Familientradition lag, besuchte der Orientierungssuchende immer häufiger buddhistische Kloster und praktizierte regelmäßig Zazen, das Sitzen (za) in Versunkenheit (zen). Für seinen Lebensweg entscheidend wurde ein Besuch des Engakuji Tempels in Kamakura im Jahre 1891. Hier begegnete der 21-jährige dem seinerzeit bekanntesten japanischen Zen-Meister der Rinzai-Schule und Abt des Klosters dem 76-jährigen Imagita Kosen Roshi (1826-1892). Bei ihm wurde er Novize und von ihm erhielt seine ersten Lektionen in der Praxis des Rinzai-Zen (Koan: "the sound of one hand").


1. Die geistige Krise der Gegenwart und die Rolle der Psychoanalyse (Fromm)
(Buchauszug: "Zen-Buddhismus und Psychoanalyse" von Erich Fromm, Teitaro Suzuki)

Bei unserem Thema müssen wir zuerst die geistige Krise betrachten, in der sich der westliche Mensch in dieser kritischen geschichtlichen Epoche befindet, sowie die Funktion der Psychoanalyse in dieser Krise.
Obwohl die meisten der im Westen lebenden Menschen nicht das Gefühl haben, in einer Krise der westlichen Kultur zu leben (wahrscheinlich war sich die Mehrzahl in einer wirklich kritischen Situation niemals der Krise bewußt), sind zumindest eine Anzahl kritischer Beobachter über das Vorhandensein und das Wesen dieser Krise einig. Es ist die Krise, die man als "malaise", "ennui", als Krankheit des Jahrhunderts, als Abstumpfung des Lebens, Automation des Menschen und seine Entfremdung von sich selbst, seinen Mitmenschen und von der Natur bezeichnet hat. Der Mensch ist dem Rationalismus bis zu dem Punkt gefolgt, wo der Rationalisimus zur äußersten Irrationalität wurde. Seit Descartes hat der Mensch in immer größerem Ausmaß das Denken vom Affekt getrennt;
(WIKI: Descartes gilt als der Begründer des modernen frühneuzeitlichen
Rationalismus, den Spinoza, Malebranche und Leibniz kritisch-konstruktiv weitergeführt haben. Sein rationalistisches Denken wird auch Cartesianismus genannt. Er ist außerdem für das berühmte Dictum cogito ergo sum („ich denke, also bin ich“) bekannt, das die Grundlage seiner Metaphysik bildet, aber auch das Selbstbewusstsein als genuin philosophisches Thema eingeführt hat. [...] Für Descartes waren physiologische Modellvorstellungen integraler Bestandteil seiner Philosophie. Er reduzierte den lebenden Organismus des Menschen auf dessen Mechanik und wurde damit zum Begründer der neuzeitlichen Iatrophysik, in der Menschenmodelle und (versuchte oder gedachte) Konstruktionen von Menschenautomaten eine wichtige Rolle spielten. Aus Furcht vor der Inquisition veröffentlichte Descartes seine Schrift Traité de l'homme („Abhandlung über den Menschen“, 1632) zeitlebens nicht; sie erschien erst 1662 unter dem Titel De homine. René Descartes war allerdings durchaus religiös; seine Aufteilung des Menschen in einen mechanisch funktionierenden Organismus und eine Seele ist wohl sein bekanntester und auch meistkritisierter Denkansatz geblieben.)
nur das Denken wird für rational gehalten - der Affekt
(mit Affekt (Idiome: im Eifer des Gefechtes, in the heat of the moment (engl.)) ist eine akzidentelle Gemütserregung ("occuring emotion"; etwas, was einem passiert)[1] gemeint)
gilt schon seiner Natur nach für irrational, die Person, das "Ich", wurde in einen Verstand abgespalten, der mein Selbst darstellt und mich ebenso beherrschen soll, wie er die Natur beherrscht. Die Herrschaft des Verstandes über die Natur und die Produktion von immer mehr und mehr Dingen wurden die höchsten Lebensziele. In diesem Prozess hat sich der Mensch in ein Ding verwandelt, das Leben ist dem Eigentum untergeordnet, das "Sein" wird vom "Haben" beherrscht. Während in den Anfängen der westlichen Kultur, und zwar sowohl bei den Griechen als auch bei den Juden, die Vervollkommnung des Menschen als Ziel des Lebens galt, befaßt sich der moderne Mensch mit der Vervollkommnung der Dinge und mit dem Wissen, wie man sie herstellt. Der westliche Mensch befindet sich in einem Zustand schizoider Unfähigkeit einen Affekt zu empfinden
(als schizoide Persönlichkeitsstörungen bezeichnet man in der Psychiatrie und Klinischen Psychologie verschiedene überdauernde Erlebens- und Verhaltensmuster mit Beginn in der Kindheit und Jugend, die von einem flexiblen, situationsangemessenen („normalen“) Erleben und Verhalten in jeweils charakteristischer Weise abweichen. Sie sind durch relativ starre mentale Reaktionen und Verhaltensformen gekennzeichnet, vor allem in Situationen, die für die jeweilige Person konflikthaft sind. Die persönliche und soziale Funktions- und Leistungsfähigkeit ist meistens beeinträchtigt.)
, und ist deshalb ängstlich und verzweifelt. Mit dem Mund bezeichnet er immer noch Glück, Individualismus und Initiative als Ziel - aber in Wahrheit hat er kein Ziel. Fragen sie ihn, wofür er lebt, was das Ziel seines Strebens ist - und er wird in Verlegenheit geraten. Manche sagen vielleicht, sie lebten für die Familie, andere "für das Vergnügen", wieder andere, um Geld zu verdienen, aber in Wirklichkeit weiß keiner, wofür er lebt; er hat kein Ziel außer dem Wunsch, der Unsicherheit und Einsamkeit zu entrinnen.
Zwar gibt es heute mehr Kirchenbesuche als je zuvor (das Buch stammt aus dem Jahre 1960), Bücher über Religion werden zu Bestsellern (manches ändert sich eben doch nicht!), und mehr Menschen sprechen über Gott als je (jap). Und doch verdeckt diese Art von religiösem Bekenntnis nur eine tiefe materialistische und unreligiöse Einstellung und ist als ideologische Reaktion - hervorgerufen durch die Unsicherheit und Konformismus - auf die Tendenz des neunzehnten Jahrhunderts zu verstehen, die Nietzsche mit seinem berühmten "Gott ist tot" charakterisierte.

Aphorismus 125
„Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? […] Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“


Eine wahrhaft religiöse Einstellung ist sie nicht.
Es war von einem bestimmten Standpunkt aus keine geringe Leistung des neunzehnten Jahrhunderts, die theistischen Ideen aufzugeben. Der Mensch stürzte sich kopfüber in die Objektivität. Die Erde war nicht mehr der Mittelpunkt des Universums; der Mensch verlor seine Hauptrolle als Geschöpf, das von Gott dazu bestimmt war, alle anderen Geschöpfe zu beherrschen (siehe hierzu auch mein Posting: Wie einzigartig ist die Erde?). Freud untersuchte mit einer neuen Objektivität die Motivierungen des Menschen und erkannte, daß der Glaube an einen allmächtigen und allwissenden Gott seine Wurzeln in der Hilflosigkeit des menschlichen Daseins hatte sowie sowie im Versuch des Menschen, mit seiner Hilflosigkeit mittels eines eines Glaubens an hilfreiche Eltern, die von Gott im Himmel verkörpert wurden, fertigzuwerden. Er sah, daß nur der Mensch sich selbst erlösen kann; die Lehren der großen Lehrer, die liebevolle Hilfe von Eltern, Freunden und geliebten Menschen kann helfen - aber nur dazu, daß er es wagt, die Herausforderungen des Seins anzunehmen und sie mit ganzer Kraft und seinem ganzen Herzen zu beantworten.
Der Mensch ließ die Illusion eines väterlichen Gottes als Helfer fallen - aber er gab auch die wahren Ziele aller humanistischen Religionen auf: die Überwindung der Grenzen, die ein egoistisches Ich setzt, die Verwirklichung von Liebe, Objektivität und Demut und die Ehrfurcht vor dem Leben, die als Ziel des Lebens das Leben selbst sieht und den Menschen zu dem macht, was er seinen Anlagen nach sein kann. Das waren die Ziele der großen Religionen des Westens ebenso wie des Ostens. Der Osten war jedoch nicht mit der Vortsellung eines transzendenten Vaters und Erlösers belastet, in dessen Gestalt die monotheistischen Religionen ihre Sehnsucht zum Ausdruck brachten. Der Taoismus und der Buddhismus besaßen eine Rationalität und einen Realismus, die denen der westlichen Religionen überlegen waren. Sie konnten den Menschen realistisch und objektiv sehen, da es nur die "Erweckten" gab, um ihn zu leiten, und er konnte sich leiten lassen, weil in jedem Menschen die Fähigkeit steckt, erweckt und erleuchtet zu werden. Genau das ist der Grund, warum heute die religiösen Gedanken des Ostens, Taoismus und Buddhismus - und ihre Verschmelzung im Zen-Buddhismus -, für den Westen eine solche Bedeutung annehmen. Der Zen-Buddhismus hilft dem Menschen, auf die Fragen seiner Existenz eine Antwort zu finden, die im wesentlichen die gleiche ist, wie die der jüdisch-christlichen Tradition und die dennoch keinen Widerspruch zur Rationalität, zum Realismus und zur Unabhängigkeit bildet, den kostbaren Errungenschaften des modernen Menschen. Paradoxerweise stellt sich heraus, daß die religiösen Gedanken des Ostens dem westlichen rationalen Denken kongenialer (geistesverwandt, geistig ebenbürtig, ideal) sind als die religiösen Gedanken selbst.

2. Werte und Ziele in Freuds psychoanalytischen Auffassungen

[...] Bevor ich jedoch meine eigene humanistische Auffassung diskutiere, möchte ich zeigen, daß im Gegenstaz zu einer weit verbreiteten Annahme Freuds eigenes System über eine Theorie von "Krankheit" und "Heilung" hinausging und sich mit der "Erlösung" des Menschen und nicht nur mit einer Therapie für geisteskranke Patienten befaßte. [...] Was war dieses Etwas (mit dem er sich befaßte)? Was war das Wesen der psychoanalytischen Bewegung, die er begründete? Was war Freud Vision der Zukunft der Menschheit? Was war das Dogma, auf das sich seine Bewegung gründete?
Freud hat diese Frage am besten mit dem Satz beantwortet: "Wo es ein ES gab - dort soll ein ICH sein."Sein Ziel war die Beherrschung irrationaler und unbewußter Leidenschaften durch Vernunft; die Befreiung des Menschen innerhalb seiner Möglichkeiten aus der Macht des Unbewußten. Der Mensch mußte sich der unbewußten Mächte in ihm bewußt werden, um sie zu beherrschen und in der Gewalt zu haben. Freuds Ziel war die optimale Erkenntnis der Wahrheit und das ist die Erkenntnis der Wirklichkeit; diese Erkenntnis war für ihn die einzige Richtschnur, die der Mensch auf dieser Erde besitzt. Es waren dies die traditionellen Ziele des Rationalismus, der Philosophie der Aufklärung und der puretanischen Ethik. Aber wärend die Religion und die Philosophie diese Ziele der Beherrschung des Selbst in einer, wie man es nennen könnte, utopischen Weise gefordert hatten, war Freud der erste - oder glaubte, der erste gewesen zu sein -, der sie (durch Erforschung des Unbewußten) auf eine wissenschaftliche Grundlage stellte und so den Weg zu ihrer Verwirklichung zeigte. [...] (Er) schuf eine Synthese mit der Romantik, die sich im neunzehnten Jahrundert durch ihre Wertschätzung der irrationalen, affektiven Seite des Menschen und ihre Beschäftigung damit dem Rationalismus entgegenstellte. Was die Behandlung des Individuums betrifft, so war Freuds Ziel ebenfalls mehr philosophischer und ethischer Natur, als im allgemeinen angenommen wurde. In den Einführungsvorlesungen spricht er von den Bemühungen gewisser mystischer Praktiken, eine grundlegende Wandlung innerhalb der Persönlichkeit herbeizuführen. "Immerhin wollen wir zugeben". fährt er fort, "daß die therapeutischen Bemühungen der Psychoanalyse sich einen ähnlichen Angriffspunkt gewählt haben. Ihre Absicht ist ja, das Ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des ES aneignen kann. Wo ES war, soll ICH werden. Es ist Kulturarbeit etwa wie die Trockenlegung der Zuidersee."

Landgewinnung Zuiderzeewerke

In der gleichen Art sagte er von der Psychoanalyse, daß sie aus der "Befreiung des Menschen von seinen neurotischen Symptomen, Hemmungen und Charakterabnormitäten" bestehe. Auch geht die Rolle des Analytikers , wie er sie versteht, über die des Arztes hinaus. Der Analytiker, sagt er, "muß eine gewisse Überlegenheit" besitzen, "um auf den Patienten in gewissen analytischen Situationen als Vorbild, in anderen als Lehrer zu wirken. Und endlich ist nicht zu vergessen, daß die analytische Beziehung auf Wahrheitsliebe, d.h. auf die Anerkennung der Realität gegründet ist und jeden Schein und Trug ausschließt." [...] Wer mit dem östlichen Denken und vor allem mit Zen-Buddhismus vertraut ist, wird bemerken, daß die Faktoren, die ich erwähnen will, nicht ohne Bezug zu Auffassungen und Gedanken des Ostens sind. Als erstes ist hier Freud Auffassung zu nennen, daß Wissen zur Wandlung führt, daß man Theorie und Praxis nicht trennen darf und daß die Wandlung schon durch bloße Selbsterkenntnis eintritt. [...] Freud teilte nicht die hohe Einschätzung unserer bewußten Gedanken, die so charakteristisch für den modernen Menschen des Westens ist. Im Gegenteil, er glaubte, daß unser bewußtes Denken nur ein kleiner Teil des gesamten psychischen Vorgangs sei, der in uns stattfindet, und zwar ein unbedeutender Teil im Vergleich zu der ungeheuren Macht jener Quellen in uns, die dunkel und irrational und gleichzeitig unbewußt sind. In seinem Wunsch, Einsicht in die wahre Natur eines Menschen zu gewinnen, wollte Freud mit seiner Methode der "freien Assoziation" das bewußte Gedankensystem durchbrechen. [...] (Dennoch entspach) Freuds Vorstellung vom Menschen in wesentlichen Zügen dem Bild, das die Nationalökonomen und Philosophen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts entwickelt hatten. Sie sahen den Menschen als ein im wesentlichen auf Wettbewerb eingestelltes, isoliertes Wesen, das mit anderen nur durch die Notwendigkeit der Befriedigung wirtschaftlicher und instinktiver Bedürfnisse in Beziehung stehe. [...]
Was ich versucht habe zu zeigen, ist, daß es in Freuds System trotz dieser offensichtlichen Widersprüche zum Zen-Buddhismus Elemente gab, die über die herkömmlichen Begriffe von Krankheit und Heilung und die traditionellen rationalistischen Auffassungen vom Bewußtsein hinausgingen und zu einer Weiterentwicklung der Psychoanalyse führten, die mit dem Denken des Zen-Buddhismus in engerem und positiverem Zusammenhang steht. [...]

[...] Heute ist das allgemeine Leiden die Entfremdung von sich selbst, von den Mitmenschen und von der Natur; das Bewußtsein, daß uns das Leben wie Sand durch die Finger rinnt, daß wir sterben werden, ohne gelebt zu haben, daß wir im Überdruß leben und doch ohne Freude sind.
Welche Hilfe kann die Psychoanalyse denen bieten, die an der "Krankheit des Jahrhunderts" leiden? [...]


3. Das Wesen der Gesundheit - die psychische
Entwicklung des Menschen (Fromm)
(Ganz geboren werden!)

Eine vorläufige Definition der Gesundheit kann folgendermaßen formuliert werden: Gesund sein heißt, mit der Natur des Menschen in Einklang stehen. Wenn wir über diese formale Feststellung hinausgehen, erhebt sich die Frage: Was heißt es, mit den Gegebenheiten der menschlichen Existenz in Einklang stehen? Was sind die Gegebenheiten?
Die menschliche Existenz wirft eine Frage auf. Der Mensch ist ohne seinen Willen in diese Welt geworfen worden und wird ohne seinen Willen wieder aus ihr genommen. Im Gegensatz zum Tier, daß in seinen Instinkten einen "eingebauten" Mechanismus der Anpassung an seine Umwelt besitzt und derart völlig in der Natur aufgeht, fehlt dem Menschen dieser Mechanismus. Er muß sein Leben leben, er wird nicht davon gelebt. Er ist in der Natur und geht doch über sie hinaus; er ist in sich seiner selbst bewußt, und dieses Bewußtsein seiner selbst als Einzelwesen bewirkt, daß er sich unerträglich einsam, verloren und machtlos fühlt.
Allein die Tatsache, daß man geboren wird, wirft ein Problem auf. Im Moment der Geburt stellt das Leben dem Menschen eine Frage, die er in jedem Moment seines Lebens beantworten muß; nicht sein Geist, nicht sein Körper, sonder er, der Mensch, der denkt und träumt, schläft und ißt, weint und lacht - der ganze Mensch -, muß sie beantworten. Was ist diese Frage, die das Leben stellt? Sie lautet: Wie können wir das Leiden, das Eingekerkert sein, die Schande überwinden, die das Empfinden der Isoliertheit erzeugt; wie können wir zu einer Harmonie mit uns selbst, mit unseren Mitmenschen und mit der Natur gelangen? Der Mensch muß diese Frage irgendwie beantworten; und selbst im Wahnsinn gibt er eine Antwort, indem er die Wirklichkeit außerhalb seiner selbst auslöscht, völlig innerhalb der Schale seiner selbst lebt und so die Angst vor der Isoliertheit überwindet. [...]
[...] Wenn wir von Geburt sprechen, meinen wir gewöhnlich die physiologische Geburt [...]. [...] (Doch) die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, daß die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind. Zu leben bedeutet jede Minute geboren zu werden. Der Tot tritt ein, wenn die Geburt aufhört. [...] Manche sind Totgeburten; sie leben körperlich weiter, während sie sich geistig danach sehnen, in den Mutterschoß, die Erde, die Dunkelheit, den Tod zurückzukehren; sie sind tatsächlich oder beinahe geisteskrank. Viele andere schreiten auf dem Pfad des Lebens weiter und können doch die Nabelschnur sozusagen nicht völlig zerreißen; sie bleiben symbiotisch mit der Mutter, Vater, Familie, Rasse, Staat, Stand, Geld, Göttern usw. verknüpft; niemals werden sie ganz sie selbst und sind daher niemals ganz geboren.

Meister Eckehart im Traktat "Vom edlen Menschen"
Die erste Stufe des inneren und des neuen Menschen,
spricht Sankt Augustinus, ist es,
wenn der Mensch nach dem Vorbilde guter und heiliger Leute lebt,
dabei aber noch an den Stühlen geht
und sich nahe bei den Wänden hält, sich noch mit Milch labt.

Die zweite Stufe ist es, wenn er jetzt nicht nur auf die äußerenVorbilder,
(darunter) auch auf gute Menschen, schaut,
sondern läuft und eilt zur Lehre und zum Rate Gottes und göttlicherWeisheit,
kehrt den Rücken der Menschheit und das Antlitz Gott zu,
kriecht der Mutter aus dem Schoß
und lacht den himmlischen Vater an.

Die dritte Stufe ist es, wenn der Mensch immer mehr und mehr sich der Mutter entzieht
und ihrem Schoß ferner und ferner kommt, der Sorge entflieht, die Furcht abwirft,
so daß, wenn er gleich ohne Ärgernisaller Leute zu erregen
Übel und Unrecht tun könnte,es ihn doch nicht danach gelüsten würde;
denn er ist in Liebe so mit Gott verbunden in eifriger Beflissenheit,
bis der ihn setzt und führt in Freude und in Süßigkeit und Seeligkeit,
wo ihm allles das zuwider ist, was ihm (= Gott) ungleich und fremd ist.

Die vierte Stufe ist es, wenn er mehr und mehr zunimmt und verwurzelt wird
in der Liebe und in Gott, so daß er bereit ist,
auf sich zu nehmen alle Anfechtung,
Versuchung, Wiederwärtigkeit und Leid-Erduldung willig und gern,
begierig und freudig.

Die fünfte Stufe ist es, wenn er allendhalben in sich selbst befriedet lebt,
still ruhend im Reichtum und Überfluß der höchsten unaussprechlichen Weisheit.

Die sechste Stufe ist es, wenn der Mensch entbildet ist
und überbildet von Gottes Ewigkeit
und gelangt ist zu gänzlich vollkommenem Vergessen vergänglichen und zeitlichen Lebens
und gezogen und hinüberverwandelt ist in ein göttliches Bild,
wenn er Gottes Kind geworden ist.

Darüber hinaus noch höher gibt es keine Stufe,
und dort ist ewige Ruhe und Seeligkeit,
denn das Endziel des inneren Menschen und des neuen Menschen ist:
ewiges Leben.

Der Versuch, das Problem der Existenz regressiv zu beantworten, kann verschiedene Formen annehmen; ihnen allen ist gemeinsam, daß sie notwendigerweise fehlschlagen und Leiden bringen. Wenn einmal der Mensch aus der vormenschlichen, paradiesischen Harmonie mit der Natur gerisssen ist, kann er niemals dorthin zurückkehren, von wo er gekommen ist. Nur im Tod oder im Wahnsinn kann die Rückkehr verwirklicht werden - nicht im Leben und in geistiger Gesundheit. [...] (Wie sehen diese regressiven Verhaltensmuster aus?)

  1. Rückkehrversuch in den Mutterleib, die Erde, in den Tod => Selbstmord oder Wahnsinn
  2. Versuch an der Brust der Mutter, der Hand des Vaters oder dem Befehl des Vaters hängen zu bleiben.
  3. Zerstörungswut, alles und jedes zerstören wollen, auffressen, sich einverleiben.
  4. Isoliertheit, Das eigene Ich als selbständiges, gewappnetes, unzerstörbares "Ding" aufzubauen. Besitz, Macht, Prestige, Verstand.
Wenn das Individuum aus der regressiven Harmonie heraustritt, überwindet es auch allmählich den Narzismus. [...]
[...] Wir können diese Einstellung deutlich bei Kinder und Neurotikern beobachten. [...] Bei dem Neurotiker finden wir stets, daß er diesen Punkt (Anerkennen der Wirklichkeit im Verlauf des Erwachsenwerdens eines Kindes) nicht erreicht hat und die Wirklichkeit noch immer im narzistischen Sinn interpretiert. Er besteht darauf, daß die Wirklichkeit seinen Ideen entsprechen muß, und wenn er erkennt, daß das nicht der Fall ist, reagiert er entweder mit dem Impuls, die Wirklichkeit zu zwingen, oder mit dem Gefühl der Ohnmacht. Der Begriff der Freiheit einer voll ausgereiften Persönlichkeit jedoch besteht im Anerkennen der Wirklichkeit und deren Gesetzen, in der Notwendigkeit ihnen entsprechend zu handel, mit eigenen Verstandeskräften und Affekten - mit ihr in Verbindung zu treten.

Soweit im Auszug Erich Fromm. Ihm geht es darum eine integrierte Persönlichkeit zu entwickeln, die Entfremdung von der Natur und damit von sich selbst zu bereinigen, weniger Verstandesarbeit zu leisten und vielmehr seinem "Bauch" den nötigen Freiraum zu gewähren. Dem Unbewußten die Möglichkeit zu geben Impulse in das Bewußtsein zu senden. Den Instinkten zu folgen. "Ganz" Mensch zu sein.
Hier ist die Verbindung zum Buddhismus erreicht. Besonders zum Zen-Buddhismus, der, inspiriert durch das Tao, zu dem wurde, was er heute ist.


Alle Glieder beginnen mit Samma, was soviel heißt wie "recht" oder "vollkommen". Darunter ist ganz allgemein zu verstehen: nicht einseitig, nicht ich-bezogen, sondern auf das Ganze bezogen, vollständig, was angemessen ist, was weder zwiespältig noch einseitig ist. Buddhas Weg ist ein Weg der Mitte, der alle Extreme meidet. Die ersten beiden Glieder beziehen sich auf das Denken und die Gesinnung. Für einen Buddhisten fängt das Tun nicht erst mit der Tat an, die Vorbereitungen für eine Tat finden immer im Denken statt, ob bewusst oder unbewusst. Die Glieder drei bis fünf beziehen sich auf das sittliche Verhalten, und bei den letzten drei Gliedern geht es um das Geistestraining, den Zugang zur spirituellen Dimension.

Der Begriff "Pfad" ist hier nicht im Sinne eines linearen Fortschreitens von Stufe zu Stufe gemeint: Alle Komponenten sind von gleicher Wichtigkeit und sollten daher von einem Buddhisten immer gleichzeitig geübt werden, auch wenn dies unterschiedlich gut gelingt. Ferner gibt es viele Querverbindungen und gegenseitige Abhängigkeiten unter den einzelnen Pfadgliedern. So gehört die "rechte Rede" beispielsweise zum Bereich des "rechten Handelns" und "rechtes Handeln" ist wiederum nur in Verbindung mit "rechter Achtsamkeit" möglich. (WIKI)

Wie Fromm oben beschieben hat, scheint es so zu sein, daß sich der westliche Mensch besonders auf sein Denken und die Ratio versteift hat. Im Zen sind dagegen Techniken entwickelt worden, die diese Ratio ad absurdum führen, ins leere laufen lassen (Koan). Diese Leere bewirkt anfänglich auf dem Pfad Frustation und Stagnation. Das hat zur Folge, daß Freiräume für das Unbewußte eröffnet werden. Ein Zugang geschaffen wird. Das ganze Ich kommt zum Vorschein. Der spirituelle Lehrer wird angenommen, durch seine Lebenshaltung zum Vorbild. Diesen Prozess beschreibt Suzuki in seinem Vortrag sehr anschaulich.

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