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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Der fliegende Bienenstock

Letzte Nacht hatte ich wieder diesen Traum. Besonders in meiner Kindheit hatte ich ihn. Den Traum fliegen zu können. Flugträume sind phantastisch. Ihr Realismus atemberaubend, doch leider viel zu selten...







Der fliegende Bienenstock
von
Wychmannus comes


Nachdenklich ordnete er sein Haar, als er nach dem langen und strengen Winter wieder erwachte. Er fühlte noch dieses wohlig schaurige Gefühl in ihm, das sein Lieblingstraum hinterlassen hatte, den er sanft pflegte. Und er spürte die Kräfte in ihm aufsteigen, die den nahenden Frühling ankündigten. Lange hatte er geschlafen und viel mit Mutter Erde gesprochen. Tiefe und nachdenkliche Gespräche waren es gewesen. Diese Gespräche hatten seine Wurzeln noch tiefer und stärker werden lassen. Fast unerschütterlich stand er da.  Sein Traum machte ihn jedoch manchmal  ängstlich.  Der Traum entsprang aus dem Wunsch, einmal fliegen zu können. Auch danach hatte er Mutter Erde nicht nur einmal gefragt. 

"Mutter, sagt mir, wie kann ich fliegen lernen?"
Sie antwortete meist: "Wer bist du?"
"Ich bin ein Baum", sagte er dann.
"Ich will nicht wissen, wie du heißt. Ich möchte wissen, wer du bist - was macht ein Baum?"
" Ich weiß nicht, was ein Baum macht."
"Dann finde es heraus!", antwortete sie ihm.

"Träumst du nicht auch manchmal davon fliegen zu können?", fragte er weiter.
"Oh doch, das tue ich. Und es gibt Momente, da erahne ich, daß ich schon seit Äonen dahinfliege. Doch das ist nicht so wichtig."
"Warum ist das nicht wichtig?"
"Weil ich Mutter Erde bin. Das ist meine Aufgabe."

Wenige Tage nach Frühlingsanfang setzte sich eine Biene auf einen seiner Äste.

"Wer bist du?", fragte der Baum.
"Ich bin eine Biene", antwortete sie. 
"Woher kommst du?", fragte er.
"Ich komme weit aus dem Osten."
"Und was tust du hier?"
"Ich soll das Fliegen lehren."
"Oh, das ist ja wunderbar", brach es aus ihm heraus.
"Dann kannst du mich sicher auch das Fliegen lehren?"
"Das kann ich nicht! Es ist nicht meine Aufgabe dich das Fliegen zu lehren. Du bist ein Baum!"
Mit diesen Worten wandte sie sich ab und begann mit dem Nestbau. Er schob seine Blätter und Äste näher an jene Stelle, wo sie mit der Arbeit begonnen hatte. Es dauerte nur einige Tage und es war schon ein ansehnlicher Bienenstock entstanden. Er war stolz und seine Hoffnung etwas über das Fliegen zu erfahren war nicht ganz gewichen.

Eines Tages, der Sommer hatte seinen Zenit überschritten und der Abend dämmerte schon, kam er mit einer weiteren Biene ins Gespräch, was bei der Geschäftigkeit dieses Volkes nicht ganz einfach war.

"Wer bist du?", fragte er höflich.
"Ich bin Jonathan."
"Und was führt dich zu mir?"
"Ich habe Angst."
"Wovor hast du Angst?"
"Ich habe Angst zu fliegen."
"Was ist die Aufgabe von Bienen?", fragte er.
"Unsere Aufgabe ist es zu fliegen und anderen das Fliegen zu lehren", antwortete die Biene.
"Eure Meisterin lehrt euch doch das Fliegen, so sagte sie es mir jedenfalls einmal?"
"Ja, das tut sie", sagte Jonathan traurig.
"Ich habe auch eine Frage an dich."
"Ja, gern."
"Mögt ihr meine Blüten nicht?"
"Ich schon. Die anderen weniger."
"Ja, das ist mir aufgefallen. Es macht mich traurig."
"Es liegt nicht an dir. Sie trinken lieber den Nektar der Blumen, die dort am Fluß stehen."
"Oh, ich verstehe. Aber die sind doch für die Fliegen. Niemand anderes trinkt davon."
"Ihr Nektar nimmt uns die Angst vorm Fliegen und er schweißt unsere Gemeinschaft zusammen.", sagte Jonathan.
"Und du?"
"Ich habe Angst vor dem Fiebertraum."
"Was ist das für ein Traum?"
"Es ist der Traum gemeinsam zu fliegen."
"Das ist doch gut."
"Ja, aber es ist nicht mein Traum. Die anderen hassen mich dafür." 
"Und die Meisterin?"
"Sie spricht oft von Ritualen, die die Angst vertreiben, die Gemeinschaft stärken und das Fliegen lehren."
"Oh, ich verstehe. Mutter Erde sprach davon."
"Wer ist Mutter Erde?", fragte die Biene den Baum.
"Mutter Erde ist meine Meisterin."
"Oh, ja."

Als der Herbst kam wurde der Baum unruhig. Die Bienen machten keine Anstalten zu fliegen. Noch wenige Tage und es würde zu kalt dafür sein. Er legte seine Blätter noch enger an das Nest und sprach nun zu den Bienen:

"Wollt ihr nicht langsam fliegen?"
"Das wollen wir! Aber was geht dich das an? Du bist ein Baum. Es steht Dir nicht zu, uns über das Fliegen zu belehren."
"Ich habe Sorge."
"Kümmere dich um deine Dinge. Um Dinge, die du besser verstehst. Du bist keine Biene."

An einem der letzten Sonnentage sah der Baum, wie einige Bienen sich an der Verankerung des Nestes zu schaffen machten.

"Was macht ihr da?"
"Wir werden fliegen."
"Oh, da ist ja wunderbar."

Das Nest löste sich, rollte den Abhang herab und fiel ins Wasser. Der Fluß trug es davon. Für einen kurzen Moment hatte der Baum den Eindruck, als hätte er gesehen, wie Jonathan davonflog. Der Baum warf traurig seine letzten Blätter ab, versank in tiefen Schlaf, sprach oft mit Mutter Erde und träumte vom Fliegen...


Dann treibt seine Blätter der Wind davon. Wie eine Julinacht will unser Leben Traumbeladen seinen Reigen vollenden, Träumen und heißen Erntefesten ergeben, Kränze von Ähren und roten Mohn in den Händen. 
Hermann Hesse 
im Mai 1904



"Sorge für Dein Erwachen, gib auf Dich acht, und freue Dich des Lebens." 
Buddha - Dhammapada

3 Kommentare:

Josephine hat gesagt…

So, da bin ich, lieber Ahimsayama. Als erstes: Du bist so schreibbegabt (und das ist, wie ich weiß - ahne? -, nicht deine einzige Begabung)! Du schreibst nicht heimlich Bücher, oder? ;-) Wenn ja, dann würde ich sie sehr gern lesen!

Mich sprach dein Text schon damals an, als du ihn in den Blog stelltest. Aber der Fokus meiner Aufmerksamkeit wird derzeit stark durch andere Dinge abgelenkt...

Und außerdem wollte ich seine Schönheit, Wärme und Tiefgründigkeit irgendwie mit oberflächlichen Worten nicht stören. (Ich hab das Gedichtezerpflücken an der Uni schon gehasst, das hat mir fast physisch weh getan. Jede Form öffentlicher Exegese verursacht bei mir dieses unangenehme Gefühl...).

Vielleicht sind innigste Träume eine Art Rätsel, was wir lösen müssen. Und weil sie so tiefgründig sind und der Sinn nicht eindeutig und vordergründig ist, verzweifeln wir jahrelang an ihnen. Doch es kommen immer wieder kleine "glimpses", ein flüchtiges Aufleuchten, aber abgrundtief emotional elektrisierend, in denen wir plötzlich bemerken, dass der Traum Sinn macht. Und sei es nur dafür, einem anderen zu ermöglichen, nicht einsam und verloren zu sein. Und das ist so viel, so viel. Und weil uns der Traum so beschäftigt, uns so prägt, ermöglicht er uns, manchmal ohne das wir es bewusst bemerken, jemanden in unsere Obhut zu nehmen.

Vielleicht ist das der (einzige?) Sinn eines Traums. Im Moment. Wer weiß, was später aus ihm wird, im nächsten Jahr? ;-)

Träume oder Visionen sind sehr magisch. Wer bereit ist, seine Träume zu ergründen und mit seiner Lebensrealität zu kombinieren, der erwacht unmittelbar. Zum Leben. Wo immer er auch ist.

Ja, so sehe ich das. Das ist wahr. Für mich.

P.S. Komisch ist, dass mir vor Jahren eine große, Leid geplagte Seele(in einem Traum?)erzählte, dass sein größter Traum wäre, ein solcher Baum zu sein, liebevolle und großzügige Heimat von allerlei Tierchen, die sich an ihm laben und Zuflucht finden, im Schutz seiner Blätter... Aber das nur am Rande.

Unknown hat gesagt…

Hallo Josephine,
ich schreibe doch keine Bücher. Aber ich bewundere Menschen, die dazu in der Lage sind. Ist doch diese einsame Tätigkeit von Selbstanalyse, Ordnung und Klärung begleitet.

Ich gestehe, Deine Worte tun mir sehr gut.

Sehr lange bin ich schon auf der Suche nach einem Bild, was mein Chaos beschreibt. Wie eine glühende Kugel steckt es in mir. Und plötzlich hat sich Szene an Szene gereiht. Der Druck läßt nach.

Bleibt die Klärung des Urgrundes; so die (meine) Denke des westlich- wissenschaftlichen Homo sapiens, dessen größte Leistung die Unvernunft ist. _()_

Ja, Heimat "im Schutz seiner Blätter".

Und doch bleibt der Traum (hi,hi):
http://www.youtube.com/watch?v=v-DQoGxjjTA

Liebe Josephine,
danke für das Posting "Maskenball" und Deine lieben Worte.

Ahimsayama

Josephine hat gesagt…

Ich danke dir, auch für dein ständiges Feedback darüber, wo ich dich inspirieren durfte! Das gibt mir auch sehr viel. Und ich meine das ernst, mit der Schreibbegabung ;-)

Der Traum muss ja bleiben! Meiner verfolgt mich ebenso hartnäckig und in der Tat des öfteren typisch westlich "hyperaktivierend"! ;-) *hihi*, *kicher*

Aber vielleicht ist das auch "nur" typisch Widder? ;-)

Eine schöne Woche und bis dänne
Josephine