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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Atemmeditation


Eugen Herrigel
ZEN in der Kunst des Bogenschießens
[...] Damit aber dieses instinktive Nichthandeln gelinge, bedarf die Seele eines Menschen inneren Haltes, und sie gewinnt ihn durch Konzentration auf die Atmung. Sie wird bewußt und geradezu pedantisch gewissenhaft vollzogen. Das Atemholen wie das Ausatmen wird je und je für sich genommen und sorgfältig ausgeführt. Der Erfolg dieser Übung läßt nicht allzulange auf sich warten. Je intensiver die Konzentration auf die Atmung ausfällt, um so mehr verblassen äußere Reize. Sie versinken in einem verschwommenen Rauschen, dem man zunächst nur noch mit halbem Ohr zuhört, um es am Ende so wenig mehr als störend zu empfinden wie etwa das Meeresrauschen, das man, hat man sich einmal daran gewöhnt, kaum mehr vernimmt. Im Laufe der Zeit wird man selbst gegen beträchtliche Reize immun, und zugleich stellt sich die Unabhängigkeit von ihnen immer leichter und rascher ein. Man hat nur darauf zu achten, daß der Körper im Stehen, Liegen oder Sitzen möglichst gelockert sei, und konzentriert man sich dann auf die Atmung, so fühlt man sich bald wie durch undurchlässige Hüllen isoliert.
Nur daß man atme, weiß und fühlt man noch. Von diesem Gefühl und Wissen sich loszulösen, ist kein frischer Entschluß nötig, denn ganz von selbst verlangsamt sich die Atmung, wird im Verbrauch von Atem immer sparsamer und entzieht zuletzt, in gleitenden Übergängen sich verwischend und eintönig geworden, der Aufmerksamkeit jeglichen Halt. Dieser schöne Zustand des unbetroffenen Insichweilens ist fürs erste leider nicht von Dauer. Er droht von innen her zerstört zu werden. Wie aus dem Nichts entspringend tauchen unversehens Stimmungen, Gefühle, Wünsche, Sorgen, ja sogar Gedanken in sinnloser Mischung auf, und je entlegener und befremdender sie sind und je weniger sie mit dem zu tun haben, wofür man die Bewußtheit aufs Spiel setzt, um so hartnäckiger hängen sie sich ein. Es ist, wie wenn sie sich dafür rächen wollten, daß die Konzentration Bereiche anrührt, die sie sonst nicht erreicht. Allein auch hier gelingt es diese Störung dadurch unwirksam zu machen, daß man, ruhig und unbekümmert fortatmend (gleich einem Schmetterling, der immer wieder die gleiche Blume besucht, führt man die abschweifenden Gedanken, die ohne Bewertung bleiben, sanft zurück zur Atmung), sich mit dem, was zum Vorschein kommt, freundlich einläßt, sich daran gewöhnt, ihm gleichmütig zuzusehen lernt und des Zusehens endlich müde wird. So gelangt man allmählich in einen Zustand, der dem gelösten Hindämmern unmittelbar vor dem Einschlafen gleicht.
In ihn endgültig zu entgleiten ist die Gefahr (Gefahr von Sinken und Erregung), der ausgewichen werden muß. Man begegnet ihr durch einen eigenartigen Sprung der Konzentration, dem Ruck vielleicht vergleichbar, den ein Übernächtigter sich gibt, der weiß, daß von der Wachheit seiner Sinne sein Überleben abhängt; und wenn dieser Sprung ein einziges Mal gelungen ist, läßt er sich mit Sicherheit wiederholen. Durch ihn wird die Seele wie von selbst in ein unbekümmertes IN-SICH-SELBST-SCHWINGEN überführt, das, steigerungsfähig, sich geradezu zu dem sonst nur noch in seltenen Träumen erfahrenen Gefühl unerhörter Leichtigkeit und der beglückenden Gewißheit potenziert, nach jeder beliebigen Richtung hin Energien wachzurufen, in abgestufter Anpassung Spannungen steigern und lösen zu können (Alpha- Zustand?). Dieser Zustand, in dem nichts Bestimmtes mehr gedacht, geplant, erstrebt, erwünscht, erwartet wird, der nach keiner besonderen Richtung zielt und dennoch aus ungelenkter Kraftfülle sich zu Möglichkeiten wie Unmöglichkeiten geschickt weiß - dieser Zustand, der von Grund aus absichtslos und ichlos ist, wird von Meistern als eigentlich "geistig" bezeichnet. Er ist in der Tat mit geistiger Wachheit geladen und wird daher auch "Rechte Geistesgegenwart" genannt. Der Geist, bedeutet dies, ist überall gegenwärtig, weil er nirgendwo, an keiner Stelle, haftet. Und er kann gegenwärtig bleiben, weil er, auch wenn er sich auf dieses oder jenes bezieht, nicht daran überlegend hängen und dadurch seine ursprüngliche Beweglichkeit einbüßen wird. Vergleichbar dem Wasser, das einen Teich füllt, aber jederzeit bereit ist abzufließen, kann er je und je in seiner unerschöpflichen Kraft wirken, weil er frei, und allem sich öffnend, weil er leer ist. Dieser Zustand ist recht eigentlich ein Urstand, und sein Sinnbild, ein leerer Kreis, schweigt den , der ihn sieht, nicht an.


Die Angst eines Kindes die Mutter zu verlieren, wenn es nicht sofort auf die Erwartungen der Mutter reagiert; spontan und instinktiv. Das macht eine Neurose... (S. Freud)

Eugen Victor Herrigel (* 20. März 1884 in Lichtenau (Baden); † 18. April 1955 in Partenkirchen) war ein deutscher Philosoph, der maßgeblich zur Bekanntheit des Zen in Europa beitrug. Sein bekanntestes Werk ist Zen in der Kunst des Bogenschießens (1948).

Leben

Herrigel studierte bis 1909 an der Universität Heidelberg evangelische Theologie. 1913 promovierte er in Philosophie bei Wilhelm Windelband und Emil Lask mit einer Arbeit über Die Logik der Zahl. Nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg wurde er von Heinrich Rickert mit der Herausgabe der Schriften Lasks beauftragt. 1922 habilitierte er sich mit Urstoff und Urform, einer Arbeit in der Tradition des Neukantianismus.

Von 1924 bis 1929 lehrte Herrigel an der Kaiserlichen Tôhoku-Universität im japanischen Sendai Philosophie. Im selben Zeitraum wurde er Schüler bei Awa Kenzō (阿波 研造; 1880–1939), einem Shadō-Lehrer. Awa entwickelte während Herrigels Aufenthalt in Japan einen neuen und sehr eigenwilligen Stil des Kyūjutsu: daishadõkyõ (die „Große Lehre vom Weg des Schießens“), eine esoterisch-mystische Lehrtradition. Es war diese „Große Lehre vom Weg des Schießens“, auf die sich Herrigel berief, wenn er Zen meinte – obwohl Awa Zeit seines Lebens nie Zen praktizierte. Dennoch glaubte Herrigel, in der von ihm gelernten Wegkunst die spirituelle Wurzel japanischer Kultur entdeckt zu haben, was nach seinem Verständnis der Schriften D. T. Suzukis nahezu gleichbedeutend mit Zen sein musste.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Juli 1929 war Herrigel Professor für Philosophie an der Universität Erlangen. Im selben Jahr hatte er aber noch mit Die metaphysische Form. Eine Auseinandersetzung mit Kant eine umfassende Arbeit bei der Tôhoku-Universität eingereicht, die ihm dafür im März 1930 den ersten Doktortitel (Bungaku hakushi) der juristisch-philosophischen Doppelfakultät verlieh, damals eine äußerst seltene akademische Ehrung.

1937 trat Herrigel in die NSDAP ein und verfasste in den folgenden Jahren diverse Schriften, in denen er u.a. Gemeinsamkeiten in deutschen und japanischen Tugenden ausmachte und darunter solche wie Opferbereitschaft für das Vaterland, Furchtlosigkeit vor dem Tod und unbedingten soldatischen Gehorsam zum Wohle des eigenen Volkes pries. 1938 wurde er Prorektor und 1945 Rektor der Universität Erlangen.

Zurück aus Japan veröffentlichte Herrigel bis auf Zen in der Kunst des Bogenschießens keine philosophisch bedeutenden Schriften mehr. Das Werk ist eine um „Völkisches“ bereinigte Version eines von ihm 1936 gehaltenen Vortrags (abgedruckt in der Zeitschrift Nippon). Diese Schrift wurde allerdings äußerst erfolgreich (1953 erfolgte eine Übersetzung ins Englische und 1956 sogar ins Japanische) und trug, trotz vieler systematischer Missverständnisse, zum populären Bild des Zen in der (vor allem westlichen) Moderne mit bei.

Herrigel war zweimal verheiratet. Seine erste Frau kam mit ihm im Mai 1924 nach Japan und starb dort nach eine schweren Erkrankung im Juli 1924. Seine spätere Frau Gusty L. Herrigel reiste ihm nach Japan nach. Sie beschäftigte sich mit Ikebana und schrieb das Buch Zen in der Kunst des Blumen-Weges. Am 20. Juni 1929, vor ihrer Rückreise wurde ihr der 2. Dan, ihrem Mann der 5. Dan, in Kyūdō verliehen.[1]


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