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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Frühlingscollage

Eines Morgens nun, als ich erwachte, sah ich durch mein Fenster über die Nachbarhäuser hinweg das große blaue Himmelstuch von Sonne ganz entflammt. Im Käfig an den Fenstern zwitscherten die Zeisige; die Hausmädchen sangen in allen Etagen; fröhlicher Lärm klang von der Straße herauf; und festlich gestimmt zog ich aus, irgendwohin.
Die Leute, denen man begegnete, lächelten; ein Hauch von Glück wehte überall im warmen Licht des wiedergekehrten Frühlings. Es war, als triebe ein Hauch von Liebe durch die Stadt; und die jungen Frauen, die in Morgentoiletten vorübergingen, heimliche Liebe in den Augen, gelöstere Grazie im Gang, erfüllten mein Herz mit wirren Empfindungen.
Ohne zu wissen wie, ohne zu wissen warum, gelangte ich zum Seineufer. Dampfschiffe fuhren nach Suresnes, und mich kam eine unbändige Lust an, durch die Wälder zu streifen.


Wer sich in diesen Wäldern trifft, der riecht nach Laub und Waben, nach Beeren und nasser Haut: seine Abendmahlzeiten bestehen aus Sonnenuntergängen und aus Waschungen in unbekannten Bächen. Wer sich in Wäldern trifft, der schläft in den Gabelungen der Bäume (der Wilden Wesen wegen); Suibhne war der berühmteste Baumschläfer von Macha Emain; Träumer in grünen Hemden zwischen Mond und Moos ... In Wäldern trifft man nicht nur verlorengeglaubte Freunde und Brüder, man trifft Wolfsmänner, von Bären aufgezogene Mädchen, von Luchsen in zartem alter entführte Zwerge oder seit langem verwilderte Damen ohne Sinn für schöne Rede oder menschlichen Kuß. Die Lichtungen in diesen Wäldern sind Orte der Idyllen: ein weißer Hirsch streift über sie, eine Nachtigall durchsingt ihre mittlere Luft, der Westwind fällt warm in den wehenden Schierling oder auf Hahnenfuß . . .


Ich liebe die Leere und die Weite, wo man nicht mehr über die Menschen, sondern über Dämonen stolpern wird. Ich liebe die Wüste, die Dürre, das Aufbäumen vor dem letzten Atemzug, die Revolte in der Wurzel, deren Stauden und Blätter oben bereits abgestorben sind, Und ich liebe die großen tiefen Wälder, in deren Dunkel ich mich verlieren will.

Ich wußte, daß ich nun endgültig Ruhe hatte. Keiner würde mir mehr nachstellen. Ich holte meine Siebensachen aus dem Boot und schlug in den dichten Wäldern ein hübsches Lager auf. Aus meinen Decken machte ich eine Art Zelt, um meine Sachen darin unterzubringen, so daß der Regen ihnen nichts anhaben konnte. Ich fing einen Katzenwels und zerfleischte ihn mit meiner Säge, und gegen Sonnenuntergang zündete ich ein Lagerfeuer an und machte mir Abendbrot. Dann legte ich eine Leine aus, um ein paar Fische zum Frühstück zu fangen. Als es dunkel war, setzte ich mich ans Feuer und rauchte und fühlte mich sehr behaglich; aber allmählich wurde es ein bißchen einsam, und so ging ich zum Fluß und setzte mich ans Ufer, horchte auf das vorbeiflutende Wasser und zählte die Sterne und Treibhölzer und Flöße, die den Strom herabkamen, und ging dann schlafen; es gibt kein besseres Mittel, sich die Zeit zu vertreiben, wenn man einsam ist; auf diese Weise kommt man am schnellsten drüber weg.


Mich hungerte wieder; ich zog mein Reisemesser aus der Tasche und schnitt mir ein Stück von dem Felsen ab, aber ich fand es geschmacklos, wie auch bei uns der Stein zu sein pflegt. Ich warf den Trugbissen gerade ärgerlich beiseite, als ich plötzlich um die Ecke des Felsens her ein Geräusch vernahm, das offenbar nur von Menschenstimmen herrühren konnte; denn obgleich die Töne nicht sonderlich viel Menschliches hatten, vernahm ich doch bestimmte artikulierte und modulierte Klänge, welche irgendeiner Sprache angehören mußten, und ich verstand sogar mehrere einzelne Worte.

Rasch entschlossen und mutig trat ich um die Ecke - und richtig, Menschen sah ich vor mir, wenn man solche Gestalten auch Menschen nennen darf. Sie waren von riesiger Größe, dunkelbraun und völlig unbekleidet.

Weiß der Teufel wie es kommt: wenn man genauer zusieht, werden Menschen und Dinge leicht dürftig, häßlich und oft sinnlos zweideutig. -

Warum, trotz allen Spiegeln, weiß man eigentlich nicht, wie man aussieht und kann daher nicht die eigene Person, wie die jedes Bekannten, der Phantasie vergegenwärtigen? Eine Schwierigkeit, welche dem gnothi seauton [Erkenne dich selbst! Inschrift des Apollontempels zu Delphi], schon beim ersten Schritte, entgegensteht.

Gleich der Giraffe und dem Schnabeltier sind die Wesen, die die entlegenen Zonen der Psyche bewohnen, äußerst unvorstellbar. Dennoch gibt es sie, sie sind wahrnehmbare Realitäten, und als solche können sie von niemandem unbeachtet gelassen werden, der ehrlich versucht, die Welt, in der wir leben, zu verstehen.


Die materielle Wirklichkeit erweist sich nach der klassischen Theorie — ganz zu schweigen von der Quantentheorie — als ein Ding von ungeahnt nebulöser Beschaffenheit. Ihre Quantifizierung — und sogar ihr Vorhandensein — hängt von äußerst subtilen Bedingungen ab und läßt sich nicht rein lokal entscheiden!

Nach unserem Zusammensein verschwand sie flugs, ohne Abschied. Niedergeschlagen schlief ich ein und erwachte am nächsten Sommermorgen als der ganz andere, den schon »ich« als Kind, und da ebenso in der Regel beim Aufwachen, bestaunt hatte: namenlos froh, durchwirkt von Süßigkeit, verbunden mit draußen, unbändig.
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