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Widmung

Dem, was andere schon sagten, kann ich nichts Neues hinzufügen; zudem bin ich kein begabter Poet. Ich gebe nicht vor, anderen von Nutzen zu sein: Um meinen eigenen Geist zu üben, habe ich dieses Werk verfaßt.

Ahimsayama

Rechte Anschauung


Unsere Ansichten geraderücken
von
Phra Ajaan Suwat Suvaco
Aus dem Thailändischen ins Englische übersetzt von Thanissaro Bhikkhu
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Lothar Schenk



Beim Meditieren schulen wir den Geist, denn wir halten den Geist für sehr wichtig. Aber den Geist zu schulen ist wirklich schwierig, sofern wir nicht die richtigen charakterlichen Gewohnheiten entwickeln. Wir müssen unsere inneren Eigenschaften verbessern, damit die Schulung geradewegs das Herz treffen kann, weil das Herz selbst zart und empfindsam ist. Wir müssen unseren Charakter so erziehen, dass er sorgsam, geschmeidig, lenkbar, respektvoll, gutartig ist. Wir müssen bereit sein, jemandes Beispiel zu folgen, der Bescheid weiß, der bereits den Weg gegangen ist, der — nach Prüfung — sich als jemand erwiesen hat, der über uns steht, was die Schulung in Achtsamkeit und Einsichtsvermögen betrifft, der über uns steht, was die Reinheit seines Handelns betrifft. Wer ist diese Person? Der Buddha — jemand, mit dem berechtigterweise niemand verglichen werden kann. Wir können unsere Ansichten und Meinungen nicht mit Recht mit den seinen vergleichen, denn er ist jemand, der sich wahrhaft selbst geschult hat, der alles geopfert hat, ohne einen Gedanken an sein Überleben zu verschwenden.

Die Tatsache, dass wir nach so langer, langer Zeit immer noch im Samsara festhängen, rührt allein von unseren charakterlichen Gewohnheiten her. Wegen unserer charakterlichen Gewohnheiten verfehlen wir ständig den Weg, treten wir neben den Weg, kommen wir dauernd vom Weg ab. Wegen unserer Gewohnheit, Entschuldigungen für uns zu finden, fehlt uns der Wille, dem Weg zu folgen, den der Buddha gewiesen hat. Welchen Weg hat er für unsere Taten gewiesen? Welchen Weg hat er für unsere Worte gewiesen? Unser Denken? Er hat Maßstäbe aufgestellt, die wir respektieren, befolgen, in die Tat umsetzen sollen. Weise sagen, dass dem Weg des Buddha leicht zu folgen ist, weil er keine Gefahren schafft. Er verlangt nicht, dass wir etwas tun sollen, das schmerzlich oder hartherzig wäre.

Wir müssen die Lehren des Erwachten prüfen, ob sie des Gehorsams, des Befolgens wert sind. Ist an ihnen irgend etwas unzulänglich, das wir vermeiden sollten, das wir nicht akzeptieren sollten? Können wir irgendwelche Ungereimtheiten beim Buddha finden, die es rechtfertigen würden, unseren eigenen Meinungen mehr Glauben zu schenken, die es rechtfertigen würden, dass wir seine Lehren missachten? Und was haben wir denn so Besonderes? Wenn man genau hinschaut, findet man nichts Tadelnswertes bei ihm. Welchen Schaden würde es also anrichten, auf ihn zu hören und seine Lehren zu befolgen?

Wir müssen genau untersuchen, wo unsere eigenen Unzulänglichkeiten liegen. Es ist wie wenn wir auf eine Reise gehen würden. Selbst wenn wir körperlich gut in Form sein mögen, wenn das Fahrwerk unseres Wagens fehlerhaft ist, landen wir unter Umständen sofort im Straßengraben. Also müssen wir meditieren, um das Fahrwerk unseres Wagens zu überprüfen, das soll heißen, die gedanklichen Vorlieben, die wir im Geist pflegen und die uns als Ansichten dienen. Der Buddha hat sehr viel Wert auf die Frage der Ansichten gelegt, weil unsere Ansichten bewirken können, dass wir Fehler begehen. Wenn unsere Ansichten fehlerhaft sind, können sie bewirken, dass unser sittliches Verhalten fehlerhaft ist. Sie können bewirken, dass unsere Lehrausübung fehlerhaft ist, dass wir vom Weg abkommen. Unsere Ansichten werden fehlerhaft, wenn der Geist an Verblendung krankt. Es ist wenig aufmerksames Beobachten da. Da mag sehr viel Wissen sein, sehr viel an Information, aber sehr wenig aufmerksames Beobachten. Wir glauben vielleicht, dass wir etwas wüssten, halten uns für schlau, aber wir merken nicht, dass unsere Ansichten fehlerhaft sind. Nur diejenigen, die Bescheid wissen, die über diese Stufe hinaus sind, können erkennen, was an unseren Ansichten fehlerhaft ist.

Also müssen wir uns besonders darum bemühen, diejenige Seite unseres Charakters zu schulen, die mit unseren Ansichten zusammenhängt, müssen uns darin üben, unsere Ansichten geradezurücken (ditth'uju-kamma). Nur so werden wir uns von fehlerhaften Ansichten befreien und sie durch makellose ersetzen können. Um das zu bewirken, müssen wir beim Beobachten mit größter Sorgfalt vorgehen. Und wir müssen beim Nachsinnen über das, was wir getan haben, sowohl was wir recht getan haben als auch was wir unrecht getan haben, ebenso sorgfältig sein. Die meiste Zeit über beobachten wir das, was wir tun, nicht sorgfältig. Wir wiederholen die gleichen Fehler immer wieder. Wir fügen uns selbst Leiden zu, aber nehmen es uns nicht zu Herzen, damit wir es nicht noch einmal geschehen lassen. Deswegen wirbeln wir endlos im Kreisen des Samsara immer weiter herum. Wir begehen ständig Fehler, aber wir erkennen sie nicht als Fehler. Von Zeit zu Zeit machen wir etwas richtig, aber wir erkennen nicht, warum das, was wir tun, richtig ist. Also gerät alles durcheinander.

Aber wenn wir uns darin schulen, aufmerksam zu beobachten und ständig unser Herz zu reinigen, so dass wir unsere Fehler nicht ein zweites Mal begehen, so dass sie uns nicht ein zweites Mal auf dieselbe Weise Leiden bereiten, dann werden wir in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, die uns wirklich zugute kommen. Wenn wir uns die Dinge anschauen, die wir früher geglaubt und getan haben, und sie dann mit den Handlungen von Weisen vergleichen, dann werden wir erkennen, welche Dinge nutzlos sind, und werden damit aufhören. Aber wenn wir unsere alten Ansichten nicht aufgeben, werden wir nie mit den Dingen aufhören können, mit denen wir aufhören sollten. Wir werden die Dinge nicht sein lassen können, die wir sein lassen sollten. Solange wir an unseren alten Ansichten festhalten, werden immer noch die alten leidbringenden Schatten über uns liegen bleiben. Wir werden niemals den Weg finden, der zum Ende des Leidens führt.

Deswegen beginnt der edle achtfache Weg mit Samma-ditthi, rechter Ansicht. Die rechte Ansicht beschreibt Dinge direkt um uns herum — innerhalb und außerhalb von uns —, die schon seit ewigen Zeiten so gewesen sind, auf korrekte Weise. Wenn man also den Dhamma sieht — die Wahrheit über die Dinge, wie sie bereits sind —, dann wird man bereit sein, seine alten Ansichten aufzugeben und dem Weg zu folgen, den der Buddha gelehrt hat. Denn der Buddha hat diese Wahrheiten gelehrt, damit wir das, was wirklich wahr ist, untersuchen und erkennen können. Es schadet nicht, dem Buddha zu glauben. Es kann uns nur helfen. Sein Erwachen geschah für das Wohl und das Glück der Wesen in der Welt, zur Reinigung der Wesen in der Welt, welche die Weisheit und das Einsichtsvermögen besitzen, um dem Weg zu folgen, dem auch er gefolgt ist. Das Erscheinen eines Buddha führt nur für diejenigen zu Leiden, deren Stolz es ihnen verbietet, seinem Weg zu folgen. Sie sind die einzigen, die von seiner Erwachung keinen Nutzen haben.

Wir sollten offen und ehrlich mit uns selbst über unseren Stolz, unsere Ansichten sein. Wir sollten sie nicht vor uns selbst verbergen. Wir sollten sie ans Licht bringen, sie herausspülen. Nährt sie nicht. Zum größten Teil sind es nicht die Art von Freunden, die uns dabei helfen, hell, sauber und rein zu werden. Glaubt bloß nicht, dass die Vorstellungen, die wir anziehend finden, uns notwendigerweise auch helfen, hell, sauber und rein zu werden. Wir sollten sie hervorholen, ausbreiten und säubern, damit alle unsere fehlerhaften Ansichten entfernt werden können. Wenn wir frei von fehlerhaften Ansichten sind, bleiben uns nur makellose Ansichten übrig, Ansichten, die sich, was unser Denken betrifft, als Schatz erweisen. Wenn unsere Ansichten makellos sind, wird auch unsere Tugendausübung makellos sein. Und wenn unsere Tugendausübung eine gute, feste Grundlage bildet, dann wird es leicht und bietet keine Schwierigkeiten, den Geist zu schulen.

Das Problem besteht im Moment darin, dass unsere Ansichten im Widerspruch zur Wahrheit stehen und immer bereit sind, falsche Annahmen zu treffen. Wir sehen leidvolle Dinge als Freude bringend an, kurze Dinge als lang, Dinge, die man tun sollte, als Dinge, die man nicht tun sollte. Wir sehen Dinge, die schmutzig sind, die geradegerückt werden sollten, damit sie mit der Wahrheit übereinstimmen, und wir lassen sie einfach so, wie sie sind, entgegengesetzt zur Wahrheit. Wie können wir da hoffen, Befreiung vom Leiden zu erlangen? Wie können wir hoffen, Reinheit zu erreichen?

Der Geist ist etwas Zartes, Empfindliches, und wird leicht von feinen Missverständnissen in die Irre geführt, von groben gar nicht zu reden. Deswegen hat der Buddha einen Schulungsplan für unsere charakterlichen Gewohnheiten aufgestellt, damit wir uns, selbst in den kleinsten Dingen, an die Wahrheit halten und sie respektieren lernen, damit wir selbst bei kleinsten Fehlern die Gefahr erkennen. Anders gesagt, hat er noch auf die kleinsten Fehler hingewiesen, die wir vermeiden, aufgeben sollten, aber wir meinen, dass wir darauf nicht verzichten können. Wir sehen sie nicht einmal als Fehler an. Das bedeutet, dass wir auch die fürchterlichen Gefahren nicht erkennen, die aus unserem falschen Handeln erwachsen werden. Also tun wir mutig das Falsche. Was aber die Dinge betrifft, die uns der Buddha zu tun empfohlen hat, die wollen wir nicht tun, wollen ihm nicht folgen, und das nur wegen unserer Ansichten und unserem Stolz. Deswegen gelangen wir nicht in den Strom zum Nibbana.

Wenn wir der Lehre folgen wollen, so dass wir unseren Stolz aufgeben, so dass wir in den Strom zum Transzendenten eintreten, dann müssen wir unsere Ansichten geraderücken — insbesondere die Ansichten über ein stets gleichbleibendes Selbst (Sakkaya-ditthi). Diese sind das allererste Tor. Wenn es uns nicht gelingt, diese Art von falschen Ansichten geradezurücken, werden wir nicht in der Lage sein, die Tür in der Mauer zu finden, die uns vom Todlosen trennt. Wir werden einfach am äußeren Rand hin- und herlaufen. Egal wie viele Leben lang wir praktizieren mögen, wir werden nur am äußeren Rand der Mauer hin- und herlaufen, wenn es uns nicht gelingt, diese Ansichten geradezurücken. Also sollten wir uns darin schulen, unsere vielen feingesponnenen Ansichten in all ihren Variationen zu untersuchen. Wir sollten ein Vertrauen entwickeln, das noch stärker ist als das, das wir jetzt haben. Wir sollten unsere Hochachtung noch stärker machen als sie es jetzt schon ist und den Weisungen des Erwachten folgen. Wenn er sagt, dass wir etwas aufgeben sollen, dann sollten wir es aufgeben, selbst wenn es heißen sollte, unser Leben aufs Spiel zu setzen, selbst wenn es unseren Tod bedeuten sollte. Nur dann werden wir siegreich aus dem Kampf hervorgehen und eine Bresche in die Mauer unserer Ansichten schlagen. Wenn wir nicht zu einem Opfer in dieser Größenordnung bereit sind, gibt es für uns keine Möglichkeit, zum Erfolg zu kommen.

Prägt euch das ein: Wenn wir nicht zu einem Opfer in dieser Größenordnung bereit sind, gibt es für uns keine Möglichkeit, zum Erfolg zu kommen. Wenn ihr durch diese letzte Mauer kommen wollt, um völlige Befreiung von Tod und Geburt zu erlangen, müsst ihr aufhören so am äußeren Rand hin- und herzulaufen. Wenn ihr weiter so handelt wie jetzt, werdet ihr nie die Befreiung vom Leiden erreichen. Also versucht, genau zu beobachten, versucht die Fesselungen zu ergründen, die tief im Inneren eures Herzens begraben liegen. Welches sind die Widerstände, die Befleckungen, die ihr auflösen müsst, um siegreich aus dem Kampf hervorzugehen? Wenn es euch mit einer Vorgehensweise nicht gelingt, sie zu überwinden, versucht es mit anderen Methoden, bis ihr es schafft. Lasst sie nicht zu "euch" werden. Lasst sie nicht zu einem Ich werden, lasst euch nicht zum Ich-Erzeugen und Mein-Erzeugen hinreißen und zu Ansichten von einem stets gleichbleibenden Selbst. Sobald Ansichten von einem stets gleichbleibenden Selbst da sind, wird die Dummheit des Geistes zu Zweifel und Ungewissheit (vicikiccha) führen, so dass ihr keine klaren und echten Folgerungen mehr ziehen könnt. Ihr werdet nach äußeren Dingen greifen — das wird "Greifen nach Regeln und Ritualen" genannt (Silabbata-paramasa) — wie die Jains zur Zeit des Buddha, die glaubten, durch äußere Rituale die Befreiung erlangen zu können, ohne den Geist schulen zu müssen, damit Einsichtsvermögen entsteht. Sie glaubten, wenn sie ihren Ritualen folgten, würden äußere Kräfte kommen und sie erretten, ein Gott würde kommen und sie erretten. Aber die Reinheit unserer äußeren Taten ist etwas, das nur wir wissen können. Wie der Buddha lehrte, gibt es niemand sonst, der kommen und uns erretten könnte. Es gibt keinen Gott, der größer wäre als die Hilfe, die wir uns selbst geben.

Also lasst euch nicht in die Irre führen. Überwindet eure falschen Ansichten, so dass ihr in echter Übereinstimmung mit dem Buddha sein könnt, mit echter Hochachtung echtes Vertrauen zu seinen Lehren haben könnt.

Meditiert weiter.

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